Samstag, 12. September 2015

Warum Bulimie keine psychische Krankheit ist

- Vorwarnung (Nachtrag vom 22.09.2015): Dieser Artikel ist sehr zugespitzt formuliert. Eine strikte Trennung von Psyche und Körper kann man so nicht vornehmen. In Wahrheit ist die Thematik in der Wissenschaft natürlich nicht unbekannt und wird unter dem Begriff "Psychophysisches Problem" oder "Leib-Seele-Problem" diskutiert.

Die öffentlich weit verbreitete Annahme, dass Bulimie mit klassischer Psychotherapie beizukommen wäre und es mit "ein bisschen Reden über Gefühle" und der richtigen Einstellung schon irgendwie in den Griff zu bekommen sei, hat mich zu der Provokation hinreißen lassen. 

Ein detaillierter Artikel folgt in Kürze und sollte offene Fragen klären. Ich lasse den ursprünglichen Text daher bewusst unverändert.- 

Nach Jahren des Wälzens von Literatur und dem Austausch mit Therapeuten, aber vor allem der Kommunikation mit Betroffenen, die sich von Therapie zu Therapie quälen und doch keine Besserung erfahren, steht für mich eines fest: Bulimie ist keine psychische Krankheit.

Bulimie ist eine körperliche Störung, die durch klassische Konditionierung (unangenehmes Gefühl - Überessen) verursacht wird. Auslöser ist dabei in den allermeisten Fällen eine vorausgegangene Diät oder Kalorienreduktion. Dass das Verhalten längerfristig aufrechterhalten wird, hat mit einem gesteigerten Körperideal jedoch nichts zu tun. Sondern mit der eben genannten Konditionierung. Das bedeutet, dass durch durch ein wiederholtes Verhalten (Überessen und Übergeben) ein gewohntes Verhaltensmuster entsteht, das neurologische Bahnen im Gehirn hinterlässt und so irgendwann, meist schon nach wenigen Wochen, zur scheinbaren Lösung aller Probleme für den Betroffenen wird. Was hat das mit einer psychischen Krankheit zu tun? Richtig- nichts.

Psychische Krankheiten, sogenannte Komorbiditäten, können daraus entstehen - nicht nur eine, sondern auch mal zwei oder drei - wenn sich die Bulimie irgendwann auf alle Lebensbereiche auswirkt. Dann kann man nichts mehr mit Freundinnen unternehmen, weil man vielleicht ein Eis oder eine Pizza mit ihnen essen gehen muss. Also bleibt man zuhause. Am Anfang nur manchmal, irgendwann immer öfter. Bis man irgendwann so selten unter Leute geht, dass man eine Soziale Phobie entwickelt und gar nicht mehr weiß, wie man sich normal verhalten soll. Wie man kommuniziert. Weil das Fressen und Kotzen den ganzen Tag ausmacht, das Wochenende und den Urlaub bestimmt, verliert man die Freude an allem, was früher einmal Spaß gemacht hat. Man wird depressiv. Man denkt darüber nach, welchen Sinn das Leben noch macht. Und ja, meistens findet man in diesen Momenten keine wirklich plausible Antwort darauf. Bulimie schränkt die Lebensqualität von Betroffenen und Angehörigen massiv ein. Suizid ist dann oftmals keine ungewöhnliche Antwort auf diese schwierig zu lösende Situation.

Psychische Störungen entstehen in den allermeisten Fällen erst nachdem man in die Bulimie gerutscht ist. Sie sind nicht deren Ursache. Es gibt absolut keine Hinweise darauf, dass die Auflösung der vielbeschworenen Ursachen, die vermeintlich tief in der Psyche der Betroffenen schlummern, die Auflösung der Bulimie bewirken. [„There is no scientific evidence that resolving underlying psychological problems lead to recovery.“ - Walsh & Cameron, 2005]

Solange man das nicht begriffen hat, wird man seine Bulimie auch nicht besiegen. Denn die Ursache wird immer im Dunkeln bleiben. Und wie soll man dann sein Essverhalten normalisieren? Warum sind so viele Bulimiker schon seit Jahrzehnten in ihrer Essstörung gefangen? Sicherlich nicht, weil sie zu wenige Therapien gemacht haben. You do the math.