Samstag, 3. Oktober 2015

Kann man es eigentlich auch ohne Therapie schaffen?

Oftmals bekomme ich die Frage gestellt - meist von Leuten, die schon mehrere Therapien hinter sich haben - ob eigentlich jeder Betroffene eine (Psycho-)Therapie machen sollte, beziehungsweise ob man es auch ohne Therapie aus der Bulimie herausschaffen kann.

Prinzipiell lautet meine Antwort darauf: Ja, man kann ohne Therapie gesund werden (schließlich habe ich es auch letztlich alleine herausgeschafft und vertrete daher natürlich diese Meinung) - aber man muss eine Reihe von Voraussetzungen mitbringen, um diesen Weg alleine zu bestreiten.

Aber wieviele Leute sind dafür bereit?


Leider sind die meisten Leute nicht dafür bereit. Das hat unterschiedliche Gründe. Viele wissen nicht, woher sie die nötige Hilfe zur Selbsthilfe bekommen und fühlen sich aufgrund der Krankheit meist selbst auch so entmutigt, dass sie diesen Schritt von sich aus gar nicht erst wagen. Das ist kein Vorwurf an Betroffene, sondern leider die Realität, die durch die öffentliche Meinung auch oft noch verstärkt wird.  

"Ohne Hilfe von außen kannst du es nie schaffen" scheint ein Standardsatz zu sein, den viele Betroffene hören. Dabei ist dieser Satz nicht immer wahr.

Es ist zwar äußerst schwierig, diesen Weg ohne Therapie zu gehen- aber nicht unmöglich - und es kann sogar eine Chance sein, sich bewusst keinen Therapeuten zu suchen. Warum? Weil man sich unabhängig macht und dann in den allermeisten Fällen auch zu denen gehört, die erkannt haben, dass man sich selbst helfen muss und das Leben, ganz allgemein und nicht nur auf die Bulimie bezogen, nur gelingen kann, wenn man es in die eigenen Hände nimmt.

Dabei schließt diese Erkenntnis gar nicht aus, dass man sich trotzdem einen Therapeuten sucht.

Aber wie auch immer- eines ist klar: die Heilung von Bulimie ist ein Weg und kein Einzel-Event. Kein "Klick" und dann ist alles anders. Denn Veränderungen brauchen Zeit, und letztlich muss man in jedem Fall, auch wenn der Wille noch so groß ist, gegen alte Gewohnheiten kämpfen. Dabei gibt es leichte und schwere Tage, Momente, Phasen.

Ich weiß, dass viele auf diesen "Klick" jahrelang warten und sich auch wiederholt bewusst dafür entscheiden, es jetzt sein zu lassen.

Wann also Therapie? 


Eine Therapie kann generell zweierlei bewirken: einerseits kann sie jemanden dabei unterstützen, die Entscheidung gegen die Bulimie bewusst zu fällen und andererseits kann sie jemandem helfen, der diese Entscheidung schon für sich getroffen hat, den Weg zu bestreiten. Eigentlich sind es nur diese beiden Dinge, bei denen die Therapie den Betroffenen unterstützt. Die dann Lösungen anbietet, wenn man selbst nicht mehr weiterkommt; die den Druck angesichts der unklaren Beschaffenheit dieses Wegs, der vor einem liegt, ein wenig wegnimmt.

Oft spielt auch der Aspekt eine Rolle, dass der Therapeut sich exklusiv Zeit zum Zuhören nimmt. Das ist beispielsweise mit Freunden nur begrenzt möglich, da man sich mit Freunden meist im Dialog unterhält. Im Normalfall möchte man als Betroffener seine Freunde auch nicht derart mit den eigenen Problemen belasten, und auch der Freund / die Freundin könnte sich aufgrund der Schwere des Problems überfordert fühlen. Wenn sich allerdings jemand von sich aus als Gesprächspartner genau dafür anbietet, so ist das natürlich einen Gedanken wert.

Wann kann es auch ohne Therapie funktionieren?


Hat man den Eindruck, gar nicht unbedingt einen regelmäßigen Gesprächspartner zu brauchen (auch wenn Gespräche für jeden Menschen für das psychische Wohlergehen wichtig sind), und das Thema eher mit sich selbst ausmachen oder "bearbeiten" möchte, dann sollte hierfür natürlich ein großes Maß an Selbststeuerungs-Fähigkeiten vorhanden sein. Im Normalfall hängt das auch vom Alter ab, und ich würde schätzen, dass diese zumindest im minderjährigen Alter noch nicht ausreichend vorhanden sind.

Viele Fragen, die im Alltag bei der Bewältigung der Bulimie auftauchen, kann zudem auch ein Psychotherapeut nicht beantworten. Hierzu zählen beispielsweise Fragen zur Ernährung. Hierbei könnte im Rahmen einer Therapie eigentlich nur ein Netzwerk an Experten helfen, das über Fachwissen in sämtlichen relevanten Bereichen verfügt. Aufgrund dessen wird auch in vielen Fachkliniken ein interdisziplinärer Ansatz verfolgt.

Sobald man selbst das Gefühl hat, dass Therapien nichts (mehr) bringen, und man darüber hinaus bereit ist, sich eigenverantwortlich weiterzuentwickeln, und diese Lösungen selbst suchen will, dann kann man es zumindest versuchen. Wenn man dann merkt, dass man nicht vorankommt, kann man immer noch einen Therapeuten aufsuchen.

Letztlich ist es immer wichtig, bei einem solchen "Abenteuer" seinen körperlichen Zustand zu kennen und sich bei riskantem Gewicht oder anderen gesundheitlichen Einschränkungen ärztlich durchchecken und eventuell begleiten zu lassen. Auch schwerwiegende psychiatrische Störungen neben der Bulimie schließen ein solches Vorhaben sicherlich aus.

Fazit 


Eigentlich geht es immer nur darum zu erkennen, dass man selbst derjenige ist, der die Bulimie besiegen muss. Solange das nicht wirklich verstanden wurde, ist es eigentlich völlig egal, ob man eine Therapie macht oder nicht - dann ist alles umsonst.

Sobald man diesen einen Aspekt aber wirklich verstanden hat, kann man sich einen Therapeuten suchen, der einem auf dem Weg unterstützt- oder sich dafür entscheiden, diesen Weg alleine zu gehen und sich je nach Bedarf Hilfe zu holen. Und das kann dann auch in Form von Büchern, Coaching oder eben Gesprächen mit Freunden passieren.

So einzigartig und individuell Menschen sind, so vielfältig sind auch die Möglichkeiten zur Heilung.

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