Mittwoch, 22. Januar 2014

Wenn man normal isst und trotzdem nie satt wird- und was man dagegen tun kann.

Wie kann man ein normales Essverhalten nach der Bulimie erlernen? Das ist wohl eine der zentralsten Fragen bei der Überwindung der Bulimie. Je nachdem, wie gehäuft die Essanfälle aufgetreten sind und je länger die Bulimie gedauert hat, ist das Sättigungsgefühl mehr oder weniger stark gestört. Dieses Problem lässt sich nicht binnen einer Woche beheben.

Das Wichtigste, das man daher mitbringen muss, ist Geduld. Man muss wissen, dass der Körper Zeit braucht, um sich an eine normale Essensaufnahme zu gewöhnen. Wie schafft man es also, die Mitte zwischen leerem Magen und Vollstopfen wieder zu finden?

1) Körperliche Voraussetzungen wieder herstellen

Zunächst muss man wissen, wie Sättigung funktioniert. Ein wichtiger Faktor ist hierbei die Dehnung des Magens- Rezeptoren melden dem Gehirn Sättigung, wenn der Magen ausreichend gedehnt ist. Eine Studie belegt, dass diese Funktion bei Bulimikern signifikant gestört ist und dass der Magen bei Bulimikern vergrößert ist [1], so dass die Rezeptoren erst viel später, d.h. bei einer größeren Nahrungsmenge, anschlagen können und man sich folglich mit einer normalen Portionsgröße noch nicht satt fühlt.

Im Umkehrschluss heißt das also: wenn der Magen sich durch zu viel Nahrung vergrößert, verkleinert er sich auch wieder, wenn sich die Portionsgrößen verkleinern. Das kann ich auch aus eigener Erfahrung heraus bestätigen. Man braucht also tatsächlich Disziplin und muss in den ersten Wochen (schätzungsweise 6-8 Wochen) Geduld aufbringen, und darf kein Sättigungsgefühl erwarten.
Am Besten vermeidet man Überessen, wenn man sich vor der Mahlzeit genau die Menge auf den Teller packt, die man essen möchte. Wenn man kocht, sollte man nur eine Portion kochen. Wenn etwas übrig bleibt, sollte man dafür sorgen, dass es eingefroren wird oder anderweitig weggepackt wird, um nicht in Versuchung zu geraten. Natürlich kann man so viel essen, bis man sich wirklich voll fühlt, und ohne einen FA zu haben, aber dann dauert es eben umso länger, bis sich der Magen wieder verkleinert.

Also: Auch wenn es hart klingt, aber ohne Disziplin klappt das alles leider nicht. Zumindest nicht in den ersten 6-8 Wochen (dieser Zeitraum basiert lediglich auf meinen eigenen Erfahrungen, wenn ihr andere Zahlen dazu habt, gebt mir bitte Bescheid). Das hat vielleicht jeder schon mal gemerkt, der ein paar Wochen ohne FAs durchgehalten hat und dann wieder einen ersten FA hatte: man konnte nicht mehr so viel essen wie vorher. Und genau das ist aber die Chance: die körperliche Veränderung, so dass sich das Sättigungsgefühl wieder einstellen kann und um diese psychisch nicht überwindbare, da körperlich vorhandene Barriere abzubauen.

2) Die Mahlzeit bewusst beginnen und bewusst beenden.

Wenn man das Gefühl hat, etwas essen zu wollen, sollte man zunächst feststellen, ob man essen will, weil man Hunger hat oder ob man vielleicht doch etwas ganz anderes braucht. Wenn man sich sicher ist (man kann das auch zeitlich festmachen, nach 4-5 Stunden Essenspause ist es wohl doch Hunger), dann ist der nächste Schritt, sich zu fragen, was man essen möchte. Sobald das geklärt ist, legt man eine Portionsgröße fest und kann mit der Mahlzeit beginnen.
Nach der Mahlzeit kann man sich bewusst sagen: Die Mahlzeit ist jetzt beendet. Ein Ritual, um sich das zu signalisieren, kann hierbei recht hilfreich sein. Das Ritual kann z.B. aus einem Dessert bestehen, einem warmen Getränk, oder einer bestimmten Handlung, die man nach der Mahlzeit ausführt: Geschirr abspülen, ein kleiner Spaziergang, die Küche saubermachen, oder etwas ganz anderes. Wichtig dabei ist, dass man sich dieses Ritual wirklich angewöhnt.


[1] A Geliebter, P M Melton, R S McCray, D R Gallagher, D Gage, and S A Hashim: Gastric capacity, gastric emptying, and test-meal intake in normal an bulimic women. In: The American Journal of Clinical Nutrition, 56 (1992), S. 656-661.