Samstag, 16. Februar 2013

Was steckt hinter der Bulimie?

Der klassische Satz in der Bulimietherapie lautet ja: "Fressen und Kotzen sind nicht das Problem, sie sind nur ein Problem für das, was dahinter steckt." Klar, dem kann auch ich nur zustimmen.
Das Problem dabei ist, dass viele dieses "was dahinter steckt" nie herausfinden. Es gibt Achtzigjährige, die sich ihr Leben lang etwas vorgespielt haben. Und um das zu tun, muss man nicht einmal Bulimie haben, nein, man kann sein wahres Ich auch unter schönen Deckmäntelchen verstecken, man kann sich übertrieben anpassen, sich perfektionistisch, ängstlich, schüchtern oder auch einfach arrogant verhalten.
Dass viele Menschen es nicht herausfinden und sich infolge dessen nicht "natürlich" verhalten, ist keine Angelegenheit, die nur den und insbesondere die Einzelne betrifft. Es liegt, soviel weiß ich heute, an unserer Gesellschaft, unserer Sozialisation.
"Das was dahinter steckt" hat nichts mit der Vergangenheit zu tun, es ist kein Vorfall aus der Kindheit und es ist auch nichts, was so groß ist, dass ich jahrelang danach graben muss.
Aber was ist es dann?
Clarissa Pinkola-Estes schließt dieses unnatürliche Verhalten auf eine Verletzung des Instinkts zurück. Dies geschieht oft bereits im Kindesalter. Es passiert, wenn ein Kind daran gehindert wird, seine Kreativität auszuleben. Um das zu veranschaulichen, passt Hans Christian Andersens Märchen der Roten Schuhe sehr gut:

"Da war ein kleines Mädchen, fein und niedlich, aber im Sommer mußte sie immer mit bloßen Füßen gehen, denn sie war arm, und im Winter mit großen Holzschuhen, sodaß der kleine Fuß ganz rot wurde, und das sah zum Erbarmen aus.
Mitten im Dorfe wohnte die alte Mutter Schuhmacher, sie saß und nähte, so gut sie konnte, von alten, roten Tuchstreifen ein Paar kleine Schuhe. Sie waren ganz plump, aber es war gut gemeint, die sollte das kleine Mädchen haben. Das kleine Mädchen hieß Marie.
Gerade an dem Tage, als ihre Mutter begraben wurde, erhielt sie die roten Schuhe und hatte sie zum ersten Male angezogen. Freilich war es nicht, um damit zu trauern, aber sie hatte keine andern, daher ging sie mit diesen hinter dem ärmlichen Sarge her.
Da kam auf einmal ein großer Wagen, und darin saß eine alte Dame; sie betrachtete das kleine Mädchen und fühlte Mitleid mit ihr, und dann sagte sie zum Prediger: »Hört, gebt mir das kleine Mädchen, dann werde ich mich ihrer annehmen!«
Marie glaubte, das geschehe alles nur der roten Schuhe wegen, aber die alte Dame meinte, die seien greulich, und sie wurden verbrannt. Marie selbst aber wurde rein und ordentlich angezogen; sie mußte lesen und nähen lernen, und die Leute sagten, sie sei niedlich, aber der Spiegel sagte: »Du bist weit mehr als niedlich, Du bist schön!«
Da reiste die Königin einst durch das Land und hatte ihre kleine Tochter bei sich, das war eine Prinzessin, und die Leute strömten nach dem Schlosse hin, und da war Marie denn auch, und die kleine Prinzessin stand in feinen, weißen Kleidern am Fenster und ließ sich anstaunen, sie hatte weder Schleppe noch Goldkrone, aber herrliche, rote Saffianschuhe, die freilich weit schöner waren, als die, welche die Mutter Schuhmacher der kleinen Marie genäht hatte. Nichts in der Welt kann doch mit roten Schuhen verglichen werden!
Nun war Marie so alt, daß sie eingesegnet werden sollte, sie bekam neue Kleider, und neue Schuhe sollte sie auch haben. Der Schuhmacher in der Stadt nahm Maß zu ihrem kleinen Fuß, das geschah zu Hause in seinem eigenen Zimmer, und da standen große Glasschränke mit niedlichen Schuhen und glänzenden Stiefeln. Das sah allerliebst aus, aber die alte Dame konnte nicht gut sehen und da hatte sie kein Vergnügen daran. Mitten unter den Schuhen standen ein Paar rote, ganz wie die, welche die Prinzessin getragen hatte; wie schön waren die! Der Schuhmacher sagte auch, daß sie für ein Grafenkind gemacht seien, sie hätten aber nicht gepaßt.
»Das ist wohl Glanzleder?« fragte die alte Dame. »Sie glänzen so!«
»Ja, sie glänzen!« sagte Marie, und sie paßten und wurden gekauft, aber die alte Dame wußte nichts davon, daß sie rot waren, denn sie hätte Marie nie erlaubt, in roten Schuhen zur Einsegnung zu gehen, aber das that sie nun.
Alle Menschen betrachteten ihre Füße, und als sie zur Chorthür über die Kirchenschwelle hinschritt, kam es ihr vor, als wenn selbst die alten Bilder auf den Begräbnissen, die Prediger und Predigerfrauen mit steifen Kragen und langen, schwarzen Kleidern, die Augen auf ihre roten Schuhe hefteten, und nur an diese dachte sie, als der Prediger seine Hand auf ihr Haupt legte und von der heiligen Taufe, vom Bunde mit Gott, und daß sie nun eine erwachsene Christin sein solle, sprach. Die Orgel spielte feierlich, die hübschen Kinderstimmen sangen und der alte Lehrer sang, aber Marie dachte nur an die roten Schuhe.
Am Nachmittage erfuhr die alte Dame von den Leuten, daß die Schuhe rot gewesen, und sie sagte, daß es häßlich sei und sich das nicht schicke, daß Marie später, wenn sie zur Kirche gehe, immer mit schwarzen Schuhen gehen solle, selbst wenn sie alt seien.
Am nächsten Sonntage war Abendmahl, und Marie betrachtete die schwarzen Schuhe, sie besah die roten – und besah sie wieder und zog die roten an.
Es war ein herrlicher Sonnenschein; Marie und die alte Dame gingen den Fußsteig durch das Korn entlang, da stäubte es ein wenig.
An der Kirchthür stand ein alter Soldat mit einem Krückstocke und mit einem wunderbar langen Barte, der war mehr rot als weiß, und er neigte sich bis zur Erde und fragte die alte Dame, ob er ihre Schuhe abwischen dürfe. Marie streckte auch ihren kleinen Fuß aus. »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!« sagte der Soldat, »sitzt fest, wenn Ihr tanzt!« und dann schlug er mit der Hand gegen die Sohlen.
Die alte Dame gab dem Soldaten ein Almosen und dann ging sie mit Marie in die Kirche.
Alle Menschen drinnen sahen nach Mariens roten Schuhen, und alle Bilder sahen danach, und als Marie vor dem Altar kniete und den goldenen Kelch an ihren Mund setzte, dachte sie nur an die roten Schuhe, und es war ihr, als ob sie im Kelch herum schwimmen; und sie vergaß ihren Psalm zu singen, sie vergaß ihr »Vater unser« zu beten.
Nun gingen alle Leute aus der Kirche, und die alte Dame stieg in ihren Wagen. Marie erhob den Fuß, um nachzusteigen, da sagte der alte Soldat: »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!« und Marie konnte nicht umhin, sie mußte einige Tanztritte machen, und als sie anfing, fuhren die Beine fort zu tanzen, es war gerade, als hätten die Schuhe Macht über sie erhalten. Sie tanzte um die Kirchenecke, sie konnte es nicht lassen, der Kutscher mußte hinterher laufen und sie greifen, und er hob sie in den Wagen, aber die Füße fuhren fort zu tanzen, sodaß sie die gute, alte Dame gewaltig trat. Endlich zog sie die Schuhe aus und die Beine erhielten Ruhe.
Daheim wurden die Schuhe in einen Schrank gestellt, aber Marie konnte nicht unterlassen, sie zu betrachten.
Nun lag die Dame krank darnieder, es hieß, sie werde nicht wieder gesund. Gepflegt und gewartet mußte sie werden und niemand war dazu mehr verpflichtet als Marie. Aber in der Stadt war ein großer Ball. Marie war eingeladen; – sie betrachtete die alte Dame, die doch nicht genesen konnte, sie besah die roten Schuhe, und sie meinte, es sei keine Sünde dabei. – Sie zog die roten Schuhe an, das konnte sie ja auch wohl; aber dann ging sie zum Ball und fing an zu tanzen.
Als sie aber zur Rechten wollte, tanzten die Schuhe zur Linken, und als sie die Diele hinauf wollte, tanzten die Schuhe dieselbe hinunter, die Treppe hinab, durch die Straße aus dem Stadtthor hinaus. Sie tanzte und mußte tanzen, gerade hinaus in den finstern Wald.
Da leuchtete es zwischen den Bäumen und sie glaubte, es sei der Mond, denn es war ein Gesicht, aber es war der alte Soldat mit dem roten Bart, er saß und nickte und sagte: »Sieh, was für schöne Tanzschuhe!«
Da erschrak sie und wollte die roten Schuhe abwerfen, aber die hingen fest, und sie schleuderte ihre Strümpfe ab, aber die Schuhe waren an den Füßen festgewachsen. Sie tanzte und mußte über Feld und Wiese, im Regen und Sonnenschein, bei Nacht und bei Tage tanzen, aber nachts war es am greulichsten.
Sie tanzte auf den offenen Kirchhof hinauf, aber die Toten dort tanzten nicht, die hatten etwas viel Besseres zu thun, als zu tanzen. Sie wollte sich auf des Armen Grab setzen, wo das bittere Farrenkraut wächst, aber für sie war weder Ruhe noch Rast, und als sie gegen die offene Kirchthür hintanzte, sah sie dort einen Engel in weißen Kleidern, mit Schwingen, die ihm von den Schultern bis zur Erde reichten, sein Antlitz war streng und ernst, und in der Hand hielt er ein Schwert, breit und glänzend.
»Tanzen sollst Du!« sagte er, »tanzen auf Deinen roten Schuhen, bis Du bleich und kalt wirst, bis Deine Haut zu einem Gerippe zusammenschrumpft! Tanzen sollst Du von Thür zu Thür, und wo stolze, hochmütige Kinder wohnen, sollst Du anklopfen, sodaß sie Dich hören und fürchten! Tanzen sollst Du, tanzen – –!«
»Gnade!« rief Marie. Aber sie hörte nicht, was der Engel erwiderte, denn die Schuhe trugen sie durch die Thür auf das Feld, über Weg und Steg, und immer mußte sie tanzen.
Eines Morgens tanzte sie an einer Thür vorbei, die sie gut kannte. Drinnen tönte Psalmengesang, ein Sarg wurde herausgetragen, der mit Blumen geschmückt war. Da wußte sie, daß die alte Dame gestorben war, und nun fühlte sie, daß sie von allen verlassen und von Gottes Engel verdammt sei.
Sie tanzte, und sie mußte tanzen, tanzen in der finstern Nacht. Die Schuhe trugen sie über Dorn und Sumpf davon, sie riß sich blutig; sie tanzte über die Haide dahin nach einem kleinen, einsamen Hause. Hier wußte sie, daß der Scharfrichter wohne und sie klopfte mit den Fingern an die Scheiben und sagte:
»Komm heraus! – komm heraus! – ich kann nicht hinein kommen, denn ich muß tanzen!«
Und der Scharfrichter sagte: »Du weißt wohl nicht, wer ich bin? Ich schlage den Menschen die Köpfe ab und ich merke, daß meine Axt klingt!«
»Schlage mir nicht den Kopf ab,« sagte Marie, »denn dann kann ich meine Sünde nicht bereuen, aber schlage meine Füße mit den roten Schuhen ab!«
Sie bekannte ihre Sünde, und der Scharfrichter hieb ihr die Füße mit den roten Schuhen ab, aber die Schuhe tanzten mit den kleinen Füßen über das Feld dahin in den tiefen Wald hinein.
Er schnitzte ihr Holzfüße und Krücken, lehrte sie einen Psalm, den die Sünder immer singen, und sie küßte die Hand, die das Beil geführt hatte und ging über die Haide fort.
»Nun habe ich genug für die roten Schuhe gelitten,« sagte sie, »nun will ich in die Kirche gehen, damit sie mich sehen können!« Und sie ging rasch gegen die Kirchthür; als sie aber dahinkam, tanzten die roten Schuhe vor ihr her und sie erschrak und wendete um.
Die ganze Woche hindurch war sie betrübt und weinte viel bittere Thränen, aber als Sonntag wurde, sagte sie: »Nun habe ich genug gelitten und gestritten; ich glaube wohl, daß ich ebenso gut bin als manche von denen, die da in der Kirche sitzen und sich brüsten!« Und dann ging sie mutig hin; aber sie kam nicht weiter, als bis zur Kirchhofthür, da sah sie die roten Schuhe vor sich hertanzen, und sie erschrak, wendete um und bereute recht von Herzen ihre Sünde.
Sie ging zur Pfarrwohnung und bat, daß man sie dort in Dienst nehmen möge, fleißig wolle sie sein, und alles thun, was sie könnte, auf den Lohn sehe sie nicht, nur daß sie unter Dach komme und bei guten Menschen sei. Die Predigerfrau hatte Mitleid mit ihr und nahm sie in ihren Dienst. Marie war fleißig und nachdenkend. Stille saß sie und horchte auf, wenn der Prediger des Abends aus der Bibel laut vorlas. Alle Kinder hielten viel von ihr, wenn sie aber von Putz und Pracht und von Schönheit sprachen, schüttelte sie mit dem Kopfe.
Am nächsten Sonntage gingen alle zur Kirche, und sie fragten sie, ob sie mitgehen wolle, aber sie blickte betrübt, mit Thränen in den Augen, auf ihre Krücken, und dann gingen die andern hin, Gottes Wort zu hören, sie aber ging allein in ihre kleine Kammer, die nicht größer war, als daß das Bett und ein Stuhl darin stehen konnten. Hier setzte sie sich mit ihrem Gesangbuch hin, und als sie mit frommem Sinn darin las, trug der Wind die Orgeltöne von der Kirche zu ihr herüber, und sie erhob ihr Antlitz mit Thränen und sagte: »O Gott, hilf mir!«
Da schien die Sonne ganz hell, und gerade vor ihr stand Gottes Engel in den weißen Kleidern, den sie in jener Nacht in der Kirchthür erblickt hatte, aber er hielt nicht mehr das scharfe Schwert, sondern einen herrlichen grünen Zweig, der voller Rosen saß. Er berührte damit die Decke, und sie erhob sich hoch, und wo er sie berührt hatte, glänzte ein goldener Stern, und er berührte die Wände, die sich erweiterten, und sie erblickte die Orgel, welche spielte, sie sah die alten Bilder mit Predigern und Predigerfrauen, die Gemeinde saß in den geputzten Stühlen und sang aus ihren Gesangbüchern. – Denn die Kirche war selbst zu dem armen Mädchen in die enge Stube gekommen, oder auch war sie dahingekommen. Sie saß im Stuhl bei den übrigen Leuten des Predigers, und als sie den Psalm geendet hatten und aufblickten, nickten sie und sagten: »Das war recht, daß Du kamst, Marie!«
»Das war Gnade!« sagte sie.
Und die Orgel klang und die Kinderstimmen im Chor tönten sanft und lieblich! Der klare Sonnenschein strömte warm durch das Fenster in den Kirchstuhl, wo Marie saß, hinein, ihr Herz wurde so voller Sonnenschein, Frieden und Freude, daß es brach. – Ihre Seele flog auf Sonnenschein zu Gott, und dort war niemand, der nach den roten Schuhen fragte." - Quelle

Wie soll man dieses Märchen nun deuten, und was hat es mit Bulimie zu tun? Zunächst ist festzustellen, dass die roten Schuhe ein Sinnbild für die Kreativität des Mädchens sind. Die Farbe Rot ist auch ganz klar mit dem Ausdruck von Emotionen verknüpft. 

Zu Beginn der Geschichte ist das Mädchen noch mit seinem Instinkt verbunden, es hat seiner Kreativität noch Ausdruck verliehen und sich selbst rote Schuhe genäht. Auch wenn sie schäbig wirkten, so hatten sie doch eine äußerst kostbare Bedeutung für das Mädchen. Sie hatte sie selbst gemacht und durch ihr Vorstellungsvermögen etwas erschaffen. 

Die alte Dame nimmt ihr die Schuhe weg, sie schneidet dem Mädchen damit die Verbindung zu ihrem Innersten ab, weil sie selbst keine Verbindung mehr dazu hat. Alte Damen sind im Leben all diejenigen, die Kindern ihre Ideen ausreden, die sie nicht ernstnehmen und zum Bravsein ermahnen. Vor allem Mädchen sollen ja immer schön still und höflich sein.

Die Einsegnung könnte auch eine Konfirmation sein, also eine Art christlicher Initiationsritus, der aber leider gar nichts mit emotionaler Involviertheit des Mädchens zu tun hat - im Gegenteil. Es wird dazu angehalten, sich zu benehmen und seine Bedürfnisse nicht wahrzunehmen, also keine roten, sondern schwarze Schuhe zu tragen. Es ist kein Ereignis der Freude, sondern ein Trauerspiel.

Das Mädchen kauft beim Schuster aber keine schwarzen, sondern rote Schuhe. Es fällt auf die roten Schuhe herein, denn die neuen roten Schuhe stehen für alle schnelllebigen Ersatzbefriedigungen, denen wir nachgeben, anstatt auf unsere eigene Stimme zu hören. Dazu gehört auch die Bulimie. Es ist einfacher, einen Fressanfall haben, als auf die eigene Stimme zu hören und ein Leben zu führen, dass dem eigenen Wesen entspricht.

Aber diese neuen roten Schuhe führen ins Verderben. Sie lassen das Mädchen nicht mehr in Ruhe, sie ist fremdbestimmt, bis sie sich die Füße abschlagen lässt. Erst als Krüppel hört sie auf ihre eigene Stimme und erkennt, worauf es ihr ankommt.

Das ist also die Moral der Geschichte: auf die eigene Stimme hören. Es kann dauern, bis sie wieder wahrgenommen wird, aber sie ist nicht unterzukriegen. Das erkennt man schon allein daran, dass alle Ersatzbefriedigungen andauern. Und dass eine Bulimie ohne das Hören auf die eigene Stimme keine Chance hat, geheilt zu werden.

Mittwoch, 13. Februar 2013

Die Rolle der Frau?!

Habt ihr euch jemals Gedanken über die generelle Rolle der Frau in der westlichen Gesellschaft gemacht? In letzter Zeit denke ich wieder häufiger über dieses Thema nach, was nicht zuletzt an der Sexismusdebatte liegt, die gerade Schlagzeilen macht.

Ich will zunächst völlig oberflächlich bleiben und mal von mir als Mädchen / Frau während meiner Bulimiezeit ausgehen. Auf der Straße wurde mir, wie jeder wahrscheinlich, auch mal hinterhergepfiffen oder irgendwas hinterhergerufen. In meiner generellen Unsicherheit habe ich das damals natüüürlich nicht als Beleidigung oder sexistische Handlung betrachtet, nein, ich fühlte mich geschmeichelt. Aber ich habe auch andere, weniger "erfreuliche" Dinge erlebt. Einmal während einer Ferienbeschäftigung hat mir ein Angestellter des Betriebs (ausschließlich männliche Kollegen) an den Busen gegrapscht, während der Arbeit, so dass es andere hätten sehen können. Wahrscheinlich nur um meine Reaktion zu testen. Und wie habe ich reagiert? Naja, ich war viel zu perplex und geschockt, um in irgendeiner Weise überhaupt darauf zu reagieren. Ich ärgere mich noch heute darüber, dass ich ihm keine schallende Ohrfeige verpasst und Anzeige gegen ihn erstattet habe.
Ein anderes Mal war ich mit dem Fahrrad unterwegs und hatte einen Platten. Der Radweg verlief neben einer relativ stark befahrenen Bundesstraße. Ich schob mein Fahrrad, als mir vom angrenzenden Waldstück her ein Mann zuwinkte. Er rief mir dann zu, ob er mir helfen könne. Ich dachte nur, naja, ist ja nett, aber rief "nein, danke, ich schiebe bis zum nächsten Ort, ist ja nicht weit" zurück. Und dachte, das habe sich damit erledigt. Aber nein, er kam dann näher und versuchte auf penetrante und aufdringliche Weise, mich in sein Gartenhäuschen zu locken. Ich bin dann schneller gegangen und schließlich gerannt, währenddessen immer die Straße im Blick.
10 Minuten später erstand ich mein erstes Pfefferspray. Ich trug es in diesem Sommer immer bei mir.

Das sind nur zwei Erfahrungen, die mir spontan einfallen. Ihr habt bestimmt Ähnliches erlebt.
Ich bin es so leid, solchen Situationen einfach ausgesetzt zu sein, und es widert mich an, dass Männer auf derlei Ideen kommen. Aber wisst ihr, was mir noch viel größere Kopfschmerzen bereitet? Dass wir Frauen uns nicht dagegen zur Wehr setzen. Ich war lange diejenige, die der Meinung war: "naja, das sind halt Männer. Hormongesteuert. Ist evolutionsbiologisch bedingt, die müssen ihren Samen möglichst weit verbreiten..." Aber dass Frauen kein Kontra geben, macht mich einfach nur sprachlos. Ich bin jetzt in einer Position, aus der heraus ich das sagen kann, damals konnte ich es auch nicht, denn sonst wären die Situationen anders abgelaufen. Aber dass sich Frauen selbst als Opfer darstellen, geht nicht in meinen Kopf. Klar, sie sind körperlich unterlegen, und es gibt genug Situationen, in denen sie wirklich NICHTS machen können (klassisches Beispiel: Frau nachts allein im Park), aber wie oft passieren solche Dinge tagsüber, in der Öffentlichkeit, auf der Arbeitsstelle?

Auf der Seite ihollaback.org könnt ihr eure eigenen Erfahrungen teilen und die Geschichten von anderen Mädchen und Frauen lesen. Aber auch dort habe ich im deutschsprachigen Raum keine einzige Geschichte einer Frau gelesen, die sich gegen verbale oder körperliche Angriffe zur Wehr gesetzt hat (bitte korrigiert mich an der Stelle, falls ihr euch dort umseht).

Wir haben heute ein, christlich veranlasstes (?) Patriarchat. Vor ein paar tausend Jahren gab es noch das Matriarchat, Gesellschaften, in denen Frauen verantwortungsvollen Positionen hatten, und Männer ordneten sich ihnen im Glaube an die weiblichen Kräfte sogar unter. Frauen waren Priesterinnen, Königinnen, sie waren nicht nur die Nährenden, sie halten die ganze Gesellschaft am Laufen! Die älteste Zivilisation überhaupt, die frühesten Siedlungen in Mesopotamien, wurden von Frauen angeleitet.

Ist die Zeit nicht langsam reif für eine neue Rolle der Frau in unserer Gesellschaft, anstatt dass Frauen versuchen zu sein wie Männer? Frauen müssen nicht die besseren Ingenieure und Techniker werden  -wenn sie Lust drauf haben, dürfen sie natürlich diese Berufe wählen- aber wieviel besser täte es der Gesellschaft, wenn Frauen zu einer echten Frauen-Rolle finden könnten und die weibliche Intution wieder Gehör in der Gesellschaft fände? Wenn Frauen nicht die "Männersprache" lernen müssten? Frauen können zuerst ihren eigenen Wert wieder entdecken. Im nächsten Schritt können Männer lernen, diesen Wert anzuerkennen und zu schätzen.

Bitte, lasst Bulimie und Magersucht hinter euch, denn das macht euch unsichtbar.