Donnerstag, 6. Juni 2013

Prävention- ein zweischneidiges Schwert

1999- zur Zeit, als ich in die Bulimie rutschte, war noch vieles anders: es gab Internet nur in der Schule auf großen grauen Rechnern oder, wenn man das Glück hatte und in einer Stadt wohnte, gab es sogar schon ein Internetcafé. Das Internet hatte also keinen Einfluss auf mich.
Sehr wohl aber diverse Zeitschriften. Und ja, im Rückblick bewahrheitet sich wohl auch die Angst meiner Eltern, dass diese Magazine einen schlechten Einfluss auf mich haben könnten. Bravo, Mädchen, Popcorn. Der zündende Funken kam aber durch eine Brigitte, in der eine Yogareihe vorgestellt wurde. 10 Übungen für die straffe Figur- oder so ähnlich. So eine Figur wollte ich auch haben, denn meine schwabbelnden Oberschenkel fand ich gar nicht toll. Also machte ich mir das erste Mal Gedanken darüber, wie so ein optimierter Körper wohl auszusehen hat. Und schnell wurde mir klar: wenn ich erstmal schlanker bin, dann .... ist alles besser. Ganz genau weiß ich nicht mehr, welche dramatischen Probleme ich damals hatte, von heute aus betrachtet waren es wohl eher "Problemchen" und ich wurde weder von meinen Mitschülern gemobbt, noch von meinen Eltern geschlagen und nein, ich war auch nicht übergewichtig. Wenn ihr es genau wissen wollt: ich hatte schätzungsweise 50kg bei einer Größe von 163cm. So normal war ich und so normal war mein Leben, bis zu jenem besagten Moment mit der Brigitte.

Dem voraus ging eine Reportage in einer der besagten Zeitschriften, vielleicht war es die Bravo. Dort wurde über ein Mädchen berichtet, das an Bulimie erkrankt war und auf der nächsten Seite war die Geschichte einer Anorektikerin mitsamt aussagekräftiger Ganzkörperporträts abgedruckt.
Letztere Geschichte hat mich weniger beeindruckt. Hängengeblieben ist wohl eher das Foto mit dem offenen Kühlschrank und der Bulimikerin davor, die sich wahllos mit Tortenstücken und Schokolade vollstopft. Warum macht jemand das, dachte ich mir. Verstehen konnte ich es nicht, und trotzdem hatte dieses Foto eine Art morbiden Charme, an den ich mich anscheinend ein paar Monate später in den Wirren der Pubertät zurückerinnern sollte.

Eine Reportage, die wohl aufklären und verhindern hätte wollen. Bei mir hat sie das Gegenteil bewirkt.
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht - hattet ihr schonmal Kontakt mit Aufklärungs- oder Präventionsprojekten und was haltet ihr davon? Welche Präventionsmaßnahmen helfen, welche nicht, und hätte euch das davon abgehalten, mit der Bulimie "anzufangen"?

3 Kommentare

  1. Anonym08 Juni

    Das war bei mir genauso. Es fing an mit einem Bericht aus irgendeiner Zeitschrift über Bulimie. Danach habe ich das dann auch ausprobiert. Die Diäten aus der "Tina" meiner Mutter habe ich auch alle ausprobiert.

    Aber weißt Du, ich denke dass ich einfach so viele ungelöste Konflikte und Traurigkeit in mir hatte, dass ich irgendein Ventil brauchte damals. Vielleicht ist es ja gut, dass es "nur" Bulimie war. Es hätte ja auch Koks, Heroin oder andere, noch selbstzerstörendere Sachen sein können...

    Inzwischen bin ich seit etwa 5 Jahren. bis auf vielleicht 3 Rückfälle pro Jahr, gesund. Und damit meine ich: keine Kalorien zählen, keine Verbote und nur Essen wenn und worauf ich Hunger habe. Die Rückfälle zeigen mir regelmäßig, wenn etwas in meinem Leben nicht so gut läuft und ich mehr auf mich aufpassen muss. Von daher sehe ich sie gar nicht soo negativ wie andere das vielleicht tun.

    Liebe Grüße und danke für Deinen Blog!

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  2. Also ich kam überhaupt erst mit dem Thema Essstörung in der Schule in Berührung. Damals haben wir im Englischunterricht über das Thema gesprochen, da einige Tage später eine englische Theatergruppe ein Stück zu dem Thema in unserer Schule aufgeführt hat. Ich bin so behütet aufgewachsen, dass ich also bis zu meinem 14./15. Lebensjahr zu dem Thema so gut wie nichts wusste. Ich war erstaunt, dass sich so viele meldeten, als meine Lehrerin fragte, was der Unterschied zwischen Bulimie und Anorexie wäre...
    Für mich waren diese Menschen bzw Mädchen einfach nur schön dünn. Damals habe ich sie schon bewundert.
    ...das Theaterstück handelte, glaube ich, von einer Bulimikerin. Aber anstatt davon abgeschreckt zu werden, wie vielleicht andere aus meiner Klasse, fand ich das Hungern einfach nur interessant-klar, das sagte ich natürlich keinem.
    Aber in meinem Fall hat der öffentliche Präventionsversuch (an der Schule!!) dazu geführt, dass ich erst angefangen habe mich richtig für das Thema und den Magerwahn zu interessieren...hat also genau das Gegenteil bewirkt.
    Ich denke, dass die Vorgeschichte eines Menschen ganz viel dazu beiträgt, wie er auf solche Sachen reagiert. Manche sind stabil und manche eben weniger. Ich würde jetzt auch nicht behaupten, dass das der Auslöser für die Bulimie bei mir war. Das erste Mal habe ich mich erst viel später übergeben. Und wenn bei einem DAS der Auslöser ist, es es bei wem anders etwas anderes usw. Ich denke, es kommt einfach auf die individuelle Vergangenheit an. Prävention als möglichen Auslöser für eine ES anzusehen, halte ich für zu flach...
    Ich finde es trotz allem wichtig, dass das Thema weiter so in die Öffentlichkeit gelangt. Nur, wenn es nicht mehr tabuisiert wird, werden vielleicht noch mehr den Mut finden, sich zu "outen", zumindest Nahestehenden oder Therapeuten bzw Beratungsstellen anzuvertrauen.
    Von daher bin ich auch begeister von deinem Blog!
    Alles Gute

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  3. Bei mir war es auch ganz ähnlich. Zwar hatte ich schon davor irgendwie ein gestörtes Verhältnis zum essen und vor allen Dingen zu meinem Körper, aber so richtig tief rein geraten bin ich erst, nachdem ich in einer Mädchenzeitschrift einen Bericht über Magersucht gelesen hatte. Den gewünschten abschreckenden Effekt hatte es bei mir ebenfalls ganz und gar nicht. Im Gegenteil - ich wollte so sein wie das Mädchen in dem Bericht.
    Von da an wusste ich um die Krankheit und ich wollte sie haben. Wollte dünn sein, zerbrechlich, wollte aufmerksamkeit und dass man sich sorgen um mich macht.
    Ich weiß noch, dass ich an Silvester (ich war glaub 12 oder 13), als es null Uhr war, in den von Feuerwerk erleuchteten Himmel geschaut und mir von tiefstem Herzen gewünscht habe, magersüchtig zu sein. Mein Wunsch ging in Erfüllung.

    So naiv meine Einstellung zu dieser Krankheit damals war - ich denke, eine Menge Jugendliche geraten so in eine Essstörung. Natürlich müssen davor entsprechende Grundvoraussetzungen da sein. Ein geringes Selbstbewusstsein, Probleme zu hause, eine instabile Psyche. Doch ich glaube durchaus, dass solche Berichte als Auslöser fungieren können.

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