Montag, 23. Dezember 2013

24 Gründe, warum du immer wieder Rückfälle bekommst- Teil 3

21. Du vergleichst dich ständig mit anderen. 
Es gibt immer jemanden, der irgendetwas besser kann als du, der besser aussieht als du, der sich besser artikulieren kann als du, der mehr Freunde hat als du. Darum ist es eine schlechte Idee, sich mit anderen zu vergleichen, weil man immer irgendwo schlechter abschneidet. Statt sich mit anderen zu vergleichen, solltest du dich besser mit dir selbst vergleichen. Stell dir vor, du hättest vor kurzem mit dem Laufen begonnen. Vielleicht hast du gerade erst die 5km-Marke geknackt- verglichen mit deiner Freundin, die den letzten Halbmarathon mitgelaufen ist, ist das natürlich gar nichts. Aber dafür, dass du vor einem halben Jahr keine 50 Meter geschafft hast, kannst du trotzdem wirklich stolz auf dich sein.

Wie schrieb der Philosoph und Schriftsteller Sören Kierkegaard einst so schön: 
"Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit."

22. Du kannst mit deinen Gefühlen nicht umgehen. 
Ein FA kann dazu dienen, abzuschalten und an nichts denken zu müssen. Oft kommt man mit keinem Gefühl mehr so richtig klar, weil es aufwühlt. Man will diese Aufgewühltheit aber nicht ertragen müssen. Es strengt an, man weiß nicht, wie man diesem Gefühlsstrudel wieder entkommen soll, fühlt sich völlig ausgeliefert. Der FA nimmt den Druck aus der ganzen Sache, der Körper entspannt und man hat den Kopf wieder "frei"- auch wenn das in Wirklichkeit gar nicht so ist, sondern die Gefühle nur abgepuffert werden.
Werd dir dessen bewusst: mit jedem Mal, das du dich vollstopfst, vertust du die Chance, dir einen Umgang mit Gefühlen anzueignen. Das muss man trainieren. Es passiert nicht von heute auf morgen, und wird auch nicht allein dadurch "besser", dass man älter wird. Auch hier hinkt der Vergleich mit "normalen" Menschen: sie sammeln Lebenserfahrung und lernen so dazu, du nicht- solange du dich vollstopfst. Solange du dich betäubst, musst du dich nicht wundern, wenn du dich irgendwann abgehängt fühlst- und es auch bist.
Mein Rat an dich: setz dich mit allen deinen Gefühlen auseinander- noch heute. Immer, wenn du etwas fühlst, versuche, dem Gefühl auf den Grund zu gehen: wie fühlt es sich an, woher kommt dieses Gefühl? Was bedeutet das für mich?
Ein Gefühl ist immer ein Zeichen, es ist eine Auskunft. Lerne, die Gefühle richtig wahrzunehmen und sie als Hilfe für dein Leben zu verwenden. Du bist deinen Gefühlen nicht nur passiv ausgesetzt, sondern sollst sie aktiv verwenden, um dein Leben dorthin zu lenken, wo du es haben willst. Nur Gefühle erfüllen diese Aufgabe. Kein anderer Mensch kann diese Rolle übernehmen.

23. Ein schlanker Körper ist dein Alleinstellungsmerkmal.
Viele Bulimiker sehen in einem makellosen Körper ihr größtes Alleinstellungsmerkmal- das, was sie am meisten von anderen Frauen unterscheidet. Was würden sie tun, wenn sie morgen von einem Auto angefahren würden und querschnittsgelähmt im Rollstühl sitzen müssten? Wenn sie durch eine Krankheit entstellt werden würden und ihr Alleinstellungsmerkmal dahin wäre? Mal ehrlich, was würdest du dann tun? Wichtig ist dieses unvergängliche Alleinstellungsmerkmal: eine eigene, unverwechselbare Persönlichkeit. Eigene Werte, auf denen man sein Leben aufbaut. Solange man sein ganzes Glück vom Aussehen des Körpers abhängig macht, wird alles andere, was eigentlich im Leben zählt, nebensächlich. Und das wiederum erschwert das Loskommen von der Bulimie. Wenn man beispielsweise irgendwann doch merkt, dass es nichts im eigenen Leben gibt außer Essen und Nichtessen, außer Dick- oder Dünnsein, wird es auch klar, warum man nicht so oft mitreden kann in Diskussionen mit Freunden, warum das eigene Leben wie eine Hülle erscheint. Daher sollte man genau daran verstärkt arbeiten, um seinem Leben wieder zu mehr Inhalt zu verschaffen.

24. Fehler sind für dich ein Zeichen deiner Unzulänglichkeit. 
Wer einmal einem kleinen Kind beim Laufenlernen zugesehen hat, wird festgestellt haben, dass es nicht von einem Moment zum anderen plötzlich perfekt laufen kann, sondern dass es immer wieder hinfällt. Und dass es trotzdem weitermacht. Wenn wir größer werden, wird uns in der Schule beigebracht, möglichst keine Fehler zu machen. Je mehr Fehler man in einer Schularbeit macht, desto schlechter die Note. Schließlich versucht man, Fehler zu vermeiden. Aber alles Neue birgt das Risiko für Fehler. Wenn man etwas lernen will, kommt man nicht umhin, Fehler zu machen. Genauso ist es auch mit der Heilung von Bulimie: wenn man lernen will, ohne Bulimie zu leben, dann muss man sich darauf einstellen, Fehler zu machen. Wer Angst vor Fehlern hat, bleibt lieber in der Bulimie und ändert nichts. Wenn man sich jedoch ändern will, muss man Fehler sogar wollen. Denn sie zeigen, dass man sich verändert. Ein Rückfall ist also kein Zeichen des Versagens: im Gegenteil.

Sonntag, 22. Dezember 2013

24 Gründe, warum du immer wieder Rückfälle bekommst-Teil 2

11. Du stellst unrealistisch hohe Anforderungen an dich. 

Unrealistische Ziele zu haben kann auch oft ein Zeichen dafür sein, dass man sie gar nicht erreichen will. Denn ein unmenschlich hohes Ziel kann niemand erreichen. Im Nachhinein kann man sich sagen: ok, dass ich das nicht erreichen konnte, war ja klar. Kleinere Ziele können auch schon eine Menge in Gang bringen. Statt sich vorzunehmen, nie wieder einen FA zu haben, könnte man sich vornehmen, eine Woche keinen FA mehr zu haben. So könnte man es beispielsweise schaffen, den Abstand zwischen den FAs immer weiter zu vergrößern.

12. Du kannst nicht mit deiner Vergangenheit abschließen. 

Wenn du an deine Vergangenheit denkst, kommen vor allem die negativen Erinnerungen hoch. Du denkst daran, wie dich in der 7. Klasse niemand als Banknachbarin haben wollte und du ganz alleine dastandst. Oder wie du an der Uni durch die Prüfung gefallen bist, auf die du wirklich viel gelernt hattest. Oder als dich dein Freund damals wegen einer Anderen verlassen hat und du dich einfach nur noch minderwertig vorkamst. Und wenn du Abends im Bett liegst und nicht einschlafen kannst, oder wenn dieses eine Lied im Radio gespielt wird, kommen all diese schlechten Erinnerungen wieder hoch.   Vor einiger Zeit habe ich eine hilfreichen Trick kennengelernt, der mir das Abschließen mit solchen schlimmen Erlebnissen erleichtert hat: die Rewriting-Technik.
Der Hintergrund: Meist verbindet man eine Person mit dem Ereignis. Wenn man also zurückdenkt, hegt man einen unendlichen Groll gegen diese Person. Der "Trick" besteht nun darin, dass man versucht, diese Erinnerung nach und nach anders im Gehirn zu verankern und andere Emotionen damit zu verbinden, damit sie nicht mehr belastend wirkt.
Es funktioniert so: man schreibt sich selbst aus der Sichtweise dieser Person einen Entschuldigungsbrief. Man stellt sich vor, dass diese Person einen gewissen Grund hatte, sich so zu verhalten, wie sie es getan hat. Ich habe diese Technik selbst angewandt und sie hat mir sehr geholfen. Vielleicht hilft sie euch ja auch.

13. Du hast Angst vor der Zukunft. 

Rückfälle können auch ganz oft ein Zeichen dafür sein, dass du dich nicht weiterbewegen willst und sozusagen lieber in eine Schockstarre verfällst. Du machst zwar weiter mit dem, was du gerade so machst, aber die Begeisterung ist schon lange verflogen, und du schwimmst nur noch so mit. Du weißt gar nicht mehr, warum du das eigentlich genau machen wolltest, und fängst an, alles schlecht zu machen. Im Studium ging es mir auch phasenweise so. Die Mitstudenten sind alle blöd, ihre Einstellungen passen einem nicht, sie sind alle arrogant und die Absolventen machen sowieso nicht das, was man selbst eigentlich mal machen möchte. Man weiß gar nicht mehr, was man mit diesem Studium eigentlich anfangen soll. Dann hilft es, nochmal auf "O" zurückzugehen. Warum habe ich dieses Studium gewählt? Wenn ich alles machen könnte was ich wollte, was wäre es?
Oft hilft es sehr, eine Bilanz zu ziehen und sich dann zu fragen, was daraus folgt. Wenn ich unzufrieden in meiner Beziehung bin, sollte ich mich trennen. Wenn mich mein Arbeitskollege wiederholt blöd anmacht, sollte ich ihm das sagen (und mich fragen, warum ich nicht schon früher etwas gesagt habe). Auf die Dauer führen solche Belastungen zu Rückfällen- das muss nicht sein, aber das Risiko ist gegeben.

14. Du lebst in einer ungesunden Umgebung. 

Dazu fällt mir spontan meine eigene Geschichte ein, als ich noch Zuhause wohnte. Ich hätte in dieser Umgebung niemals gesund werden können. Die Beziehung zu meinen Eltern war angespannt, es gab Erwartungshaltungen von beiden Seiten. Das beste war ein Umgebungswechsel, weg von den Eltern, hin in eine eigenständige Umgebung. Psychologen wissen, dass alleine ein anderes Setting eine Besserung hervorruft. Besonders wenn Betroffene noch zu Hause wohnen, fallen sie immer wieder in alte Verhaltensmuster zurück, weil immer wieder die gleichen Vorwürfe seitens der Eltern an sie herangetragen werden. Viele Eltern können sich auch oft nicht von den Kindern lösen. Dann entstehen Überforderungen, weil viele Kinder ihre Eltern nicht willentlich verletzen oder zurückweisen wollen.

15. Deine Tage haben keine Struktur. 

Dieses Problem haben vor allem Studenten oder Andere, die sich ihre Zeit hauptsächlich selbst einteilen können. Einerseits ist das natürlich oft schön, weil man die Dinge dann erledigen kann, wenn man selbst die Zeit und Lust dazu hat. Andererseits ist man auch oft damit konfrontiert, dass man gewisse Dinge aufschiebt und nicht in den Arbeitsfluss kommt. Oftmals gerät schon der ganze Tag ins Wanken, wenn man zu spät aufsteht, weil keine wichtigen Termine anstehen und man keine Vorstellung davon hat, wie der Tag ablaufen soll. Oft helfen hier schon ganz kleine Rituale, wie beispielsweise, am Abend vorher einen Tagesplan für den nächsten Tag oder am Sonntag Abend einen Wochenplan für die kommende Woche zu schreiben. Oder den Tag immer mit kleinen Ritualen zu beginnen, denn das kann helfen aus dem Bett zu kommen, wenn man sonst noch nicht genau weiß, wo der Tag hingehen soll. Mein kleines Ritual am Morgen ist einfach: aufstehen und duschen, danach eine Tasse Kaffee auf dem Sofa trinken, während ich noch den Bademantel anhabe. Dann überlege ich mir, was den Tag über so alles ansteht.

16. Du willst einen Körper, der nicht deiner ist. 

Hast du schonmal darauf geachtet, dass jede Frau ihre ganz eigenen Proportionen hat? Ich beispielsweise habe relativ breite Schultern und nicht das breiteste Becken. Das fand ich früher ganz schrecklich. Das ist ja gar nicht die frauliche Körperform, die man gemein hin als weiblich bezeichnen würde. Meine Schultern machen mir regelmäßig Probleme beim Hemden- und Blusenkauf, weshalb ich mich letztlich von Hemden und klassisch geschnittenen Blusen verabschiedet habe, weil schlicht die Schultern immer zu schmal geschnitten sind und die Ärmel viel zu weit innen beginnen und unter den Achseln kneifen. Der Hosenkauf ist für mich immer ein Graus, weil Jeans meist am Taillenbund viel zu weit sind, dafür an den Schenkeln wieder zu eng. Früher kam ich vom Klamottenkauf immer extrem gefrustet zurück. Heute, wo ich meinen Körper mit seinen feinen Eigenheiten akzeptiert habe, weiß ich um diese Herausforderungen und kann sie bequem umschiffen und anders darauf reagieren.

17. Du akzeptierst deine Persönlichkeit nicht. 

Wie schön wäre es, einen feinsinnigen Humor zu haben, Andere mit links unterhalten zu können, so dass sie an den eigenen Lippen hängen, oder der intellektuelle Gastgeber mit den Fähigkeiten eines Gourmetkochs zu sein? Es ist nicht einfach, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln, aber ganz sicher ist es auch keine Arbeit, die auf einem leeren Blatt Papier beginnt. Dieses Blatt Papier ist nämlich schon beschriftet: mit Persönlichkeitsfragmenten, mit einem Nährboden, der diese besonderen Fähigkeiten und Eigenheiten zur Geltung bringen kann. Dafür müssen diese Fragmente allerdings zuerst anerkannt und gesehen werden. Stehe dazu, wenn du manchmal schwarzen Humor an den Tag legst oder aber besonders achtsam bist. Wenn du auf andere achtgibst und Rücksicht nimmst, statt dich wie so viele andere, unhöflich und ruppig mit den Ellenbogen durch den Alltag kämpfst.

18. Du weißt nicht, welche Ernährung gut für dich ist. 

Vor kurzem habe ich festgestellt, dass scharfe Lebensmittel mir nicht nur nicht schmecken, sondern mir darüber hinaus auch nicht gut tun. Ich hatte eine asiatische Thai-Curry-Paste gekauft, die sehr scharf ist. Ich habe sie dann zubereitet und die Portion auch gegessen, allerdings hatte ich danach das Bedürfnis, die Schärfe durch das Essen einer milden Speise zu kompensieren, obwohl ich schon satt war. Auf seinen Körper zu hören, herauszufinden, was er braucht, ist keine Sache, die man innerhalb weniger Minuten lernt. Man muss sich nach und nach vortasten, und das Spannende, was sich dadurch eröffnet, wertungsfrei ansehen.

19. Du willst nicht nachdenken. 

Sich zu verändern, ist eine echt harte Sache. Man darf es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Nachdenken gehört dazu, Selbstreflektion- das ist nicht jedermanns Sache. Aber es ist notwendig, um ein zufriedenes Leben zu führen, ein Leben, das dir gerecht wird. Sich mit Essen zu betäuben ist genau das Gegenteil von Selbstreflektion. Also erkenne an, dass du dir Gedanken machen musst, um deine Situation zu ändern. Und schließlich kann man das Denken lernen. Man kann lernen, seinen eigenen Gedanken auf den Grund zu gehen und so an sich selbst arbeiten.

20. Du willst keine Verantwortung übernehmen. 

Das zählt auch wieder ein Stück weit zum Punkt "Nachdenken". Wie oft habe ich in Bulimiker-Biografien gelesen, dass sie nicht in der Lage waren, Verantwortung für sich zu übernehmen. Aber warum ist so? Ich glaube, diese Unfähigkeit liegt schon in der Natur der Bulimie: man übergibt sich und übernimmt somit nicht die Verantwortung für das zuviele Essen. Würde man die Verantwortung übernehmen, würde man sich nicht übergeben. 

Samstag, 21. Dezember 2013

24 Gründe, warum du immer wieder Rückfälle bekommst- Teil 1

1. Zu viele einfache Kohlenhydrate.

Vergiss alle süßen Teigwaren, also Blätterteigtaschen, süße Stückchen und verpackte Kuchen. Wenn du Brot brauchst, iss Vollkornprodukte. Eine große Scheibe hiervon ist genug. Du kannst die Dosis erhöhen, sobald du dich sicherer fühlst. Wenn du ein Stück Kuchen oder etwas sehr kohlenhydrathaltiges gegessen hast, musst du auf deinen Blutzuckerspiegel achten. Viele Bulimiker sind nach einigen Jahren an der Grenze zu Diabetes und haben stark schwankende Blutzuckerspiegel. Oft essen viele "trockene" Bulimiker immer noch viel zu viele Kohlenhydrate, weil ihr Gehirn gelernt hat, auf die Zuckerexplosion mit einem Anstieg an Glückshormonen zu reagieren. Daher ist es wichtig, seinen Blutzuckerspiegel kennenzulernen. Am einfachsten ist es, zu Beginn weitestgehendst auf Lebensmittel mit einem hohen glykämischen Index zu verzichten, um sich keiner Gefahr auszusetzen.

2. Zu wenig Eiweiß. 

Wenn du deinen Kalorienbedarf hauptsächlich über Kohlenhydrate deckst, besteht immer die Gefahr, sich zu überessen, da Kohlenhydrate weniger gut sättigen als Eiweiße. Veganer können ihren Eiweißbedarf leicht über Hülsenfrüchte und grüne Gemüse decken, die einen hohen Aminosäurengehalt aufweisen. Allesesser haben eine größere Auswahl und können neben den Hülsenfrüchten auch auf Fisch, Fleisch und Milchprodukte zurückgreifen. Eine Ausnahme dieses Hinweises gibt es allerdings für Gluten, dem Eiweißbestandteil aus Getreide. Sie können bei Allergikern suchtähnliche Wirkungen haben. Ich persönlich habe die Vermutung, dass überdurchschnittlich viele Bulimiker glutenintolerant sind und daher so extrem auf Backwaren etc. reagieren.

3. Abgestumpfte Geschmacksnerven. 

Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit sind die Geschmacksknospen deiner Zunge durch das Erbrechen säurebedingt beschädigt. Du kannst das Schmecken wieder erlernen, indem du bewusst und langsam isst (und dich natürlich weniger erbrichst, aber das versteht sich von selbst). Auch helfen kann das Ausprobieren neuer Lebensmittel. Kauf dir beim nächsten Einkauf doch mal eine Frucht, die du noch nie gegessen hast und probiert zuerst ein kleines Stückchen, das du ganz langsam kaust, um alle Geschmacksnuancen wahrzunehmen. Ich habe seinerzeit einen regelrechten Geschmacksparcour gemacht, und mir vorgenommen, jeden Tag innerhalb z.B. einer Woche ein neues Lebensmittel oder Getränk auszuprobieren. Auf diese Weise habe ich Maracuja, Kaktusfeige oder Pitahaya das erste Mal als ganze Frucht gegessen. Warum das Rückfälle provozieren kann? Durch abgestumpfte Geschmacksnerven bist du dazu verleitet, immer wieder das Gleiche zu essen. Es ist aber wichtig, den Genuss wieder zu erlernen. Und es ist wichtig wahrzunehmen, was der Körper braucht. Und dazu hilft es, auch mal Ungewohntes zu probieren. Denn der Körper kann nur Appetit auf die Dinge haben, die er schon kennt. Und dazu muss man neue Lebensmittel kennenlernen, um die Palette zu erweitern.

4. Schlechte Verdauung

Es kann ziemlich frustrierend sein zu merken, dass man, obwohl man normal und ohne FAs isst, nur alle 5 Tage zur Toilette muss. Auch wenn es sich weit hergeholt anhört: eine schlechte Verdauung hat Auswirkungen auf die Psyche. Wichtig ist es daher, vor allem ausreichende Mengen und genügend Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Du kannst dir beispielsweise angewöhnen, eine Mahlzeit mit einem Salat zu beginnen, um die Ballaststoffe "hinter dich zu bringen": Ich weiß, wie schwierig es ist, Obst und Gemüse zu essen, vor allem als Bulimiker. Man hat das Gefühl, leere Kalorien zu essen, ohne das "Kohlenhydrat-High" wie nach einem Stück Keks. Ich sage es dir offen: du musst dich dazu zwingen, andernfalls wirst du noch Jahre nach deinem letzten FA Probleme mit deiner Verdauung haben. Geh es an!

5. Dein Darm ist zuckersüchtig.

Durch eine jahrelange Kohlenhydrat- / Zuckersucht (wie sie bei Bulimikern häufig vorkommt) besteht die Gefahr, dass du in deinem Verdauungstrakt vermehrt Hefepilze gezüchtet hast, die jetzt nach immer mehr Kohlenhydraten verlangen. Der berüchtigte Candida Albicans kann dir die Genesung zur Hölle machen. Er kommt in 75% aller Menschen vor, ist allerdings in erhöhter Menge schädlich. Finde heraus, ob er sich in einer überdurchschnittlichen Menge in deinem Körper befindet. Symptome sind häufige Blähungen oder eine regelrechte Sucht nach Kohlenhydraten. Weitere findest du hier.

 6. Du kennst deinen Zyklus nicht. 

Die Periode an sich ist nichts schlimmes - die Schmerzen können es sein - und vor allem als Bulimiker sollte man froh sein, sie überhaupt noch zu haben. Wenn du also das Glück hast, deine Tage zu bekommen, solltest du dich nicht beschweren. Sie sind ein Zeichen deines Körpers, dass du mit deinem Essverhalten noch nicht alles zerstört hast. Die Tage sind ein Zeichen dafür, dass dein Körper Leben schenken kann. Auch wenn es im ersten Moment esoterisch klingen mag: dein Körper gibt dir durch die Tage den Vorteil, besondere Dinge wahrzunehmen, die Männer nicht wahrnehmen können. Insbesondere in den 2-3 Tagen vor der Periode (manchmal schon früher) bist du besonders stark mit deinen Gefühlen verbunden. Nimm das jeden Monat als Chance, auszuloten, was sich in deinem Leben verändern muss. Hör auf die Gefühle, die sich bei dir melden. Sie sind ein wichtiges Zeichen für Dinge, die du wahrnehmen sollst. Mach eins auf keinen Fall: tu dich selbst als "zickig" oder "weinerlich" ab, und spiel deine Gefühle runter oder ignoriere sie. Es hat einen Grund, dass du in dieser Zeit so bist.

7. Du verhütest mit der Pille. 

Setz die Pille ab. Der Grund hierfür ist einfach. Wenn dein Körper von künstlichen Hormonen geflutet wird, ist es unmöglich, dessen echte Bedürfnisse wahrzunehmen, weil sie immer durch eine Schicht von Hormonen verschleiert sind. Man geht davon aus, dass es mindestens 2-3 Monate nach dem Absetzen dauert, bis der Körper sich wieder reguliert hat und man sich "normal" fühlt.

8. Du drückst deinen Ärger nicht aus, sondern leitest ihn in einen Fressanfall um. 

In jedem Frauenzeitschriften-Forum findet man sie: Klagen von Frauen, die sich wundern, sich schlecht zu fühlen, weil sie alles mit sich machen lassen. Erst heute gelesen: Eine Frau lässt sich von ihrem Kollegen halbtot reden, weil sie nicht "stop" sagen kann. Nun wundert sie sich über das Ohrenrauschen, das sie ständig mit sich herumträgt. Sag einem anderen Menschen, höflich und sachlich, wenn dir etwas an eurer Zusammenarbeit, Kommunikation, o.a. nicht passt. Manchen Leute, vor allem Männer, kommen von alleine manchmal auch einfach nicht auf den Trichter, und viele denken über so etwas auch einfach nicht nach. Man kann nie sicher sein, dass diskrete, kleine Hinweise den gewünschten Effekt beim Anderen erzielen. Man fährt besser damit, es direkt abzusprechen, wenn sich einem die Nackenhaare aufstellen. Das gilt vor allem für Überschreitung der körperlichen Distanz: wenn mich jemand anfasst, sei es auch nur an der Schulter, dem Arm, oder sonstwo: ich unterbinde derlei Verhalten sofort. Und wenn ich dann als "zimperlich" bezeichnet werde, dann sei dem so, oder ich bin einfach am falschen Ort mit den falschen Leuten. So etwas lasse ich nicht mit mir machen. Denn ich weiß aus Erfahrung, dass ich mich selbst noch Tage später superschlecht fühle, weil ich mich nicht dagegen gewehrt habe und mich immer noch ausgeliefert und hilflos fühle.

9. Du nimmst dir keine Zeit für dich selbst. 

Wenn man zu allem Ja und Amen sagt, nur um des guten Friedens willen, dann kann das auch gerne mal nach hinten losgehen. Du sagst "Ja", wenn eine Freundin mit dir am Abend nach einem stressigen Tag noch zu dieser und jener Veranstaltung gehen will, weil du weißt, dass sie gerade Liebeskummer hat und deine Gesellschaft braucht. Dabei würde es dir besser damit gehen, mal auf der Couch zu entspannen und einfach gar nichts zu tun.

Ich habe bei mir selbst feststellen können, dass der Essanfall oft dann kam, wenn ich total gestresst war und dringend Zeit für mich selbst gebraucht hätte- Bärbel Wardetzki, die das Buch "Iss doch endlich normal" geschrieben hat, hat im Gespräch mit Patientinnen oft Ähnliches miterlebt:
"Nur bei meinen Eß-Brech-Anfällen bin ich wirklich ganz bei mir. Da ist dann niemand, der mir reinredet oder was von mir will. Ich bin endlich ich selbst." (Bärbel Wardetzki)
Der Essanfall kann also oft ein Zeichen dafür sein, dass man einfach mal gar nichts machen möchte. Dass man Abschalten will, eine kleine Auszeit braucht. Wie schön wäre es, wenn man den Essanfall nicht mehr als Alibi dafür bräuchte?

10. Du willst von allen gemocht werden.

Von allen gemocht zu werden, ist unmöglich. Kein Mensch kann von jedem gemocht werden, man verbiegt sich, entwickelt kein echtes eigenes Profil und schadet sich selbst dadurch am meisten. Kennst du solche Leute auch, die von allen gemocht werden wollen? Und- magst du sie, bewunderst du sie, oder findest du so ein Verhalten eher bemitleidenswert? Als ich mir früher überlegt habe, wie ich gern wäre, hab mir jemanden vorgestellt, den ich bewundere. So ein Mensch war selbstbestimmt, stand zu seiner Meinung und war souverän, d.h. in seiner Meinung unabhängig von dem Urteil anderer. Aber wen du bewunderst, bleibt natürlich dir selbst überlassen. Ich für meinen Teil habe durch solche Überlegungen jedenfalls mit dem unmöglichen Vorhaben abgeschlossen, es allen Recht zu machen und beschlossen, an einer eigenen Persönlichkeit zu arbeiten.

Freitag, 6. Dezember 2013

Ärger, soziale Kompetenz und die Fähigkeit, Grenzen zu setzen

Ich habe ja schon mehrere Male (hier und hier) über die Wichtigkeit der Fähigkeit des Grenzensetzens berichtet. Aber warum hat genau diese Fähigkeit bei Bulimie so eine immense Bedeutung?
Und warum komme ich nun wieder auf dieses Thema zurück?

Vor einiger Zeit bin ich auf eine Studie gestoßen, der zufolge Bulimiker besonders schlecht darin sind, ihren Ärger nach außen hin zu kommunizieren und innerlich zu verarbeiten. Da Bulimiker jedoch noch in besonders großem Maße für Ärger empfänglich sind (die entsprechenden Hirnareale sind bei Bulimikern größer), da sie sich darauf "trainiert" haben, ihn zu erkennen und eher auf negative als auf positive Gefühlsregungen ihrer Umwelt achten, ist der Druck, mit diesen Gefühlen umzugehen, noch höher als bei Gesunden. Es kommen also mehr negative Gefühle beim Bulimiker an.

Die Unfähigkeit, Ärger Ausdruck zu verleihen (in der Studie wird von "reaktivem Ärger" gesprochen) leiten Bulimiker in Symptome im Essverhalten um. Sie müssen also den emotionalen Druck irgendwie verarbeiten, da das Gehirn nach einem Ausgleich verlangt und reagieren mit einem Essanfall, der die Gehirnchemie wieder ins Gleichgewicht bringt.

Andere Forscher, die in der Studie genannt werden, vermuten einen Zusammenhang zwischen der Fähigkeit, Ärger Ausdruck zu verleihen und anderen sozialen Fähigkeiten, insbesondere dem Grenzensetzen.
Die Studie geht davon aus, dass Bulimiker bereits auffällig oft in ihrer Kindheit Grenzüberschreitungen erleben mussten und daher oft nicht gelernt haben, selbst Grenzen zu setzen. In diesem Forum stellt sich jemand sogar die Frage, ob ein Mangel dieser Fähigkeit sogar diejenigen ausmacht, die später an Bulimie erkranken (im Gegensatz zu jenen, die gesund bleiben). Weitere Erkenntnisse zeigen, dass Bulimiker auf Andere häufig ablehnend und sogar feindselig reagieren. Dadurch behindern sie sich selbst darin, soziale Akzeptanz zu erfahren und positive Erfahrungen in der Gemeinschaft zu machen, was die mangelnde soziale Kompetenz noch verstärkt und oftmals dazu führt, sich solchen potenziell gefährlich Situationen erst gar nicht mehr auszusetzen, sondern sie zu vermeiden.

Was ist nun das Fazit dieser Vielzahl an - vielleicht nicht unbedingt neuen - Erkenntnissen? Dass der Hase im Umgang mit Gefühlen begraben liegt. Den Gefühlen Anderer und den eigenen Gefühlen, die wiederum oft nur eine Reaktion auf die Gefühle der Anderen sind. Dass das bulimische Verhalten dazu führt, ängstlich zu werden und negative Reaktionen Anderer frühzeitig erkennen lässt bzw. Reaktionen falsch interpretiert.
Dass Bulimie oftmals auch mit einem Mangel an sozialer Kompetenz einhergeht, die -und das ist jetzt meine eigene Erfahrung- in einem Teufelskreis mündet. Wenn man immer wieder versucht, sich soziale Fähigkeiten anzueignen, in sozialen Situationen aber wiederum wiederholt schlechte Erfahrungen macht, dann neigt man dazu, diese Situationen zu vermeiden- und der Kreis schließt sich. Dabei kann es auch oft einfach nur daran liegen, dass man selbst die Anderen verzerrt wahrnimmt. Sie erscheinen in ihren Reaktionen auf die eigene Person weitaus negativer als sie es in Wirklichkeit sind. Aber wenn man einen Schritt zurückgeht, wird man feststellen, dass man mit seiner Einschätzung falsch liegt und sie einen sogar mögen und man das einfach nicht sehen kann. Das ist mir selbst in der Vergangenheit übrigens sehr oft passiert. Ich war hyperkritisch und ging lieber davon aus, dass mich niemand mag, anstatt mir "anzumaßen", dass ich liebenswert sein könnte.

Wie sind eure Erfahrungen damit? Habt ihr an euch schonmal bemerkt, dass ihr nach sozialen Situationen besonders oft FAs habt oder habt ihr das Gefühl, dass ihr euch nicht richtig "wehren" oder Grenzen setzen könnt? Fände es sehr interessant, eure Meinungen zu hören.

Mittwoch, 12. Juni 2013

Körpersprache- wie wir sie nutzen, um uns zu ändern.


Hast du jemals über deine Körpersprache nachgedacht? Darüber, wieviel sie über dich aussagt und darüber, wie du dich fühlst und was du von dir selbst denkst? Und wie deine Körpersprache das, was du über dich denkst und wer du bist, auch ändern kann?.... dieses Video ist Gold wert ;)

Dienstag, 11. Juni 2013

Rückblick: Chat zum Thema Essstörungen der Stiftung Warentest

Anlässlich des Specials "Essstörungen" gab es am vergangenen Mittwoch, den 05.06.2013, bei Stiftung Warentest einen 60-minütigen Expertenchat zum Thema Essstörungen.
Befragt werden konnten die Expertinnen Jana Hauschild (Psychologin und Journalistin), Sylvia Baeck (Gründerin des Beratungszentrums bei Ess-Störungen DICK & DÜNN e.V.  in Berlin) und Anke Nolte (freiberufliche Medizinjournalistin mit den Schwerpunkten Psychologie, Psychosomatik und Krankenpflege).

Special Essstörungen, Stiftung Warentest © 2013.

Hier könnt ihr nachlesen, was so alles gefragt wurde.

Donnerstag, 6. Juni 2013

Prävention- ein zweischneidiges Schwert

1999- zur Zeit, als ich in die Bulimie rutschte, war noch vieles anders: es gab Internet nur in der Schule auf großen grauen Rechnern oder, wenn man das Glück hatte und in einer Stadt wohnte, gab es sogar schon ein Internetcafé. Das Internet hatte also keinen Einfluss auf mich.
Sehr wohl aber diverse Zeitschriften. Und ja, im Rückblick bewahrheitet sich wohl auch die Angst meiner Eltern, dass diese Magazine einen schlechten Einfluss auf mich haben könnten. Bravo, Mädchen, Popcorn. Der zündende Funken kam aber durch eine Brigitte, in der eine Yogareihe vorgestellt wurde. 10 Übungen für die straffe Figur- oder so ähnlich. So eine Figur wollte ich auch haben, denn meine schwabbelnden Oberschenkel fand ich gar nicht toll. Also machte ich mir das erste Mal Gedanken darüber, wie so ein optimierter Körper wohl auszusehen hat. Und schnell wurde mir klar: wenn ich erstmal schlanker bin, dann .... ist alles besser. Ganz genau weiß ich nicht mehr, welche dramatischen Probleme ich damals hatte, von heute aus betrachtet waren es wohl eher "Problemchen" und ich wurde weder von meinen Mitschülern gemobbt, noch von meinen Eltern geschlagen und nein, ich war auch nicht übergewichtig. Wenn ihr es genau wissen wollt: ich hatte schätzungsweise 50kg bei einer Größe von 163cm. So normal war ich und so normal war mein Leben, bis zu jenem besagten Moment mit der Brigitte.

Dem voraus ging eine Reportage in einer der besagten Zeitschriften, vielleicht war es die Bravo. Dort wurde über ein Mädchen berichtet, das an Bulimie erkrankt war und auf der nächsten Seite war die Geschichte einer Anorektikerin mitsamt aussagekräftiger Ganzkörperporträts abgedruckt.
Letztere Geschichte hat mich weniger beeindruckt. Hängengeblieben ist wohl eher das Foto mit dem offenen Kühlschrank und der Bulimikerin davor, die sich wahllos mit Tortenstücken und Schokolade vollstopft. Warum macht jemand das, dachte ich mir. Verstehen konnte ich es nicht, und trotzdem hatte dieses Foto eine Art morbiden Charme, an den ich mich anscheinend ein paar Monate später in den Wirren der Pubertät zurückerinnern sollte.

Eine Reportage, die wohl aufklären und verhindern hätte wollen. Bei mir hat sie das Gegenteil bewirkt.
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht - hattet ihr schonmal Kontakt mit Aufklärungs- oder Präventionsprojekten und was haltet ihr davon? Welche Präventionsmaßnahmen helfen, welche nicht, und hätte euch das davon abgehalten, mit der Bulimie "anzufangen"?

Mittwoch, 5. Juni 2013

Auch mit Bulimie bist du noch DU

Manchmal denke ich spontan, was, wenn DIESE Person Bulimie hat? Woran würde ich das meinen erkennen zu können? Dann kommt schnell der Gedanke "dafür ist sie viel zu lebenslustig und zu aktiv, zu begeistert, zu sprühend". Wenn ich diese Vorstellung der Person, sei es aus einem Video oder aus dem echten Leben, übertrage auf meine Sicht auf meine eigene Vergangenheit, denke ich mir oft: "Was, wenn ich damals die Bulimie akzeptiert hätte, wenn ich mich nach einem FA nicht tagelang verurteilt hätte. Wenn ich doch mit meinem Leben weitergemacht hätte, Business as usual- im positiven Sinne-, wo wäre ich jetzt? Vielleicht hätte man nach außen hin nicht gemerkt, dass ich mit mir hadere, weil ich mich selbst nicht dafür verurteilt hätte. Jedenfalls nicht grundlegend."
Oft habe ich gedacht, an einem Tag mit FA kann nichts Gutes mehr passieren, ich kann weder mit jemandem telefonieren, noch jemandem eine Email schreiben, weil ich so stark von dem FA beeinflusst bin. Doch wie stark es mich beeinflusst, bestimme ganz alleine ich. Und sobald ich mir dessen bewusst bin, dass es so ist, kann ich es ändern.
Auch mit FAs bist du noch jemand, du bist du! Lass die Bulimie nicht dein Leben bestimmen, auch wenn sie über dich kriecht und dich zu ersticken droht. Gib deinem Ich Raum!

Samstag, 1. Juni 2013

Bulimie und die Angst vor dem Leben

Mir ist aufgefallen, dass ich während und noch Jahre nach meiner bulimischen Erkrankung ein Gedankengerüst aufgebaut habe, das hauptsächlich aus Angst gemacht war. Das war keine spezifische Angst, wie die Angst vor Spinnen oder Höhenangst, nein. Es war die Angst vor dem Leben, vielleicht auch eine Angst vor der Angst. Was bedeutet, dass ich Angst hatte, nicht mit der Angst, der Konfrontation umgehen zu können, ihr völlig ausgeliefert zu sein.
Das ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass ich noch einige Zeit mit magersüchtigen Phasen zu kämpfen hatte, sicher, sie waren immer recht kurz, aber sie waren auch nur ein äußerer Ausdruck meines Seelenlebens. Mit der Angst lebte ich fast permanent. Auch während der Phasen, in denen es mir äußerlich gut zu gehen schien, igelte ich mich ein, traute mich oft nicht unter Menschen, war nicht in der Lage, meine Meinung zu sagen, ohne mich in irgendeiner Weise dafür zu schämen.
Klar, ich hatte ganz unterschiedliche Phasen, mal war es besser, mal war davon gar nichts zu merken und ich schöpfte neuen Mut. Aber oft brodelte diese Angst unter der Oberfläche, mal stark, mal weniger stark.
Auch mit in diese Thematik hinein spielt die Angst vor einem Kontrollverlust. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich diese Angst erst vor einigen Monaten gänzlich losgeworden bin. Die vorletzte Phase war eine, in der ich das Gefühl hatte, auch haben wollte, besonders viel Kontrolle über mein Leben zu haben. Ich hielt mich auch strikt an meine eigenen Pläne und konnte mit spontanen Situationen wenig anfangen. Darauf folgte eine Phase, in der ich alles gehen ließ. Ich ließ los, und ich ließ bewusst los. Ich merkte richtig, wie ich innerlich entspannter wurde. Ich überließ die Dinge ihrem Lauf, und nahm vieles nicht mehr so wichtig. Ich lernte, meiner inneren Stimme mehr Raum zu geben, anstatt ihr vonseiten meines Verstands Vorschriften machen zu wollen. Das hatte zur Folge, dass ich in diesem Moment eine gute Balance gefunden habe, und noch nie zuvor in meinem Leben so geerdet war wie gerade in diesen Tagen. Es ist, als hätte ich mit Gewalt ein Loch zu stopfen versucht, durch das mit viel Druck immer mehr Wasser zu fließen schien. Als ich damit aufhörte, es zuzudrücken, wurde erstmal alles überschwemmt. Doch nach einiger Zeit war das Wasser versickert und die Sonne kam von selbst. 

Aber zurück zur Angst. Hast du das Gefühl, dass Angst dein Leben dominiert? Wovor hast du genau Angst? Ich habe festgestellt, dass die Angst vor dem Unbekannten schlimmer ist als die Angst vor etwas Konkretem. Schreib dir doch mal auf, wovor du konkret Angst hast. Dann schau es dir genau an. Kannst du dich deinen Ängsten stellen? Warum nicht, was hindert dich daran? Was hast du zu verlieren?

Ich will euch Mut machen, dass ihr, im Gegensatz zum "normalen" Deutschen (Angst scheint eine besonders deutsches Phänomen zu sein, schaut euch Versicherungen gegen alles und jeden an) euch dessen gewiss werden könnt, dass diese Angst da ist, und dass sie unnötig ist. Die meisten Menschen sind sich dieser Angst gar nicht bewusst. Oder sie wissen es, aber haben Angst vor der Angst, und unternehmen nichts dagegen, weil sie nicht wissen, wie sie mit der Konfrontation umgehen sollen.

Meine Vermutung und eigene Erfahrung ist, dass besonders leidvolle Erfahrungen, und genau das ist die Erkrankung an Bulimie, erden können. Irgendwann stellt man fest, dass man nicht mehr tiefer fallen kann. Und dann kann man endlich was gegen die Angst tun. Denn es kann nichts mehr passieren, man kann sich nicht noch stärker in seiner Wohnung zurückziehen. Man kann sich nicht noch weiter von seinem wahren Inneren entfernen, aber was bietet sich stattdessen? Was bekommst du, wenn du diese Angst vor dem Leben loslässt?

Samstag, 11. Mai 2013

Deine Geschichte

Es ist soweit: die erste Geschichte einer Leserin wird veröffentlicht. Ich werde ihren Namen nicht erwähnen, aber eins sei verraten: es ist die Bloggerin von strtingnw. Danke für deine Geschichte!

"Meine Geschichte begann vor mehreren Jahren. Schon immer habe ich auf meine Figur geachtet. Hatte niemals mehr als 53 Kilo bei 1,68m. Irgendwann gelang ich auf einen Pro Ana Blog. Ich kann einfach nur allen raten, die psychisch nicht stabil sind, nicht auf solche Seiten zu klicken. Ich war alles andere als psychisch stabil. Habe mir die Handgelenke aufgekratzt, sodass die Narben auch nach 5 Jahren noch sichtbar sind. Am Abend, an dem ich dann auf dieser Seite surfte, ging es mir sehr bescheiden. Ich hatte schon oft wenig gegessen und auch an diesem Tag aß ich nicht viel. Alles aber eher unbewusst. Danach fing ich an, es bewusst zu machen. Ich aß nichts oder wenig, Tage und Wochen lang. damals war ich dann gerade 15.

Wie man das dann auch so gut kennt, der Körper hungerte aus und die Fressanfälle kamen. Anstatt das allerdings als Warnung aufzufassen, fand ich mich irgendwann über der Kloschüssel wieder. Und das Schlimmste war: ich fühlte mich weder eklig oder schlecht, sondern wunderbar frei und leicht. Im Nachhinein betrachtet, weiß ich, das das Kotzen von mir nur als Druckablass benutzt wurde. Ich kotzte am Anfang nur dann, wenn ich viel Stress oder Sruck empfand.

Irgendwann konnte ich aber nichts mehr essen, ohne danach das Bedürfnis nach Erbrechen zu haben. Das ging dann so 2 1/2 Jahre lang 'gut'. Ich begann zu rauchen, um immer mehr an Gewicht zu verlieren. Aber das alles löste das Problem nicht. Nämlich, dass ich mit mir selbst unzufrieden war. Natürlich versuchte ich auch, es mir abzugewöhnen. Aber in mir waren 2 Stimmen. Mein verstand und meine Essstörung. und die Essstörung war über all die Jahre stärker. Ich nahm mal wieder zu, und sofort wieder ab, weil ich es nicht konnte. Als es meine Mama dann mitbekam, ging alles ganz schnell. Ich war immernoch nicht so dünn, wie ich sein wollte, hatte 45 Kilo. Erst versuchten wir es ambulant, dann stationär. Seit ein paar Monaten bin ich wieder zu Hause.

Was ich nur jedem raten kann, der eine Essstörung hat: lasst euch einweisen! Im Nachhinein, war es das beste, was mir passieren konnte, obwohl ich mich am Anfang sträubte. Eure Krankheit ist Ausdruck eurer Psyche. Ihr wollt nicht wirklich dünn sein, ihr wollt auch keine beste Freundin namens Ana oder Mia. Ihr wollt euch selbst lieben und zufrieden mit euch sein. Ich verspreche euch, die krankheit wird es euch nie geben. Ich selbst habe immernoch eine verzerrte Körperwahrnehmung.

Manchmal passiert es mir auch noch, dass ich mich beim Kratzen erwische und oft möchte ich nichts essen. Trotzdem ist mein Verstand mittlerweile stärker als mein Gefühl. Ich weiß, dass es nicht schlimm ist, wenn der Bauch hervorsteht. Mein Gefühl sagt mir, dass es super eklig ist. Es war bisher ein langer und schwerer Weg und es wird sicher noch lange dauern, bis ich vollends mit mir zufrieden bin. Doch ich weiß, dass Kotzen keine Lösung ist. Man muss sich seinen Gefühlen und Problemen stellen! Und lasst euch gesagt sein, ihr kommt in die Klinik und merkt, dass es noch viel schlimmere Fälle gibt. Mädchen und Jungs, die einfach nichts dafür können, dass sie so sind, weil die Gesellschaft sie zum Selbstmordversuch trieb.

Wir sind stark und wir können es schaffen, das alles hinter uns zu lassen. Wenn mich jemand auf meinem Weg begleiten will, dann ist hier meine Blogadresse: http://strtingnw.blogspot.de/
Der Weg ist nicht einfach, versucht immer, euer Ziel im Auge zu behalten! Dann wird es gelingen!"

Montag, 6. Mai 2013

Heute ist der Internationale Anti-Diät-Tag!

Dieser spezielle Tag wurde von der Britin Mary Evans Young ins Leben gerufen. Sie selbst wurde von ihrer Magersucht geheilt und gründete daher im Jahr 1992 die Kampagne Diet Brakers.
Seine Solidarität mit Betroffenen kann man mit einem hellblauen Schleifchen zum Ausdruck bringen.

Samstag, 20. April 2013

Warnung vor Sojaprodukten

In eigener Sache erzähle ich euch jetzt meine kleine Sojageschichte. Vor einigen Monaten habe ich beschlossen, vegan zu leben. Im Laufe der Zeit stieg mein Sojakonsum dadurch ziemlich an. Irgendwoher musste ich schließlich mein Eiweiß bekommen. Statt Käse aß ich also Sojaaufschnitt und -Aufstrich, in den morgendlichen Kaffee gab es ab sofort Sojamilch anstatt der normalen, und zum Frühstück gab es statt Rührei einen leckeren Rührtofu. Und all das schmeckte auch noch ziemlich lecker. Ich aß mit wunderbar gutem Gewissen, schließlich ging ich davon aus, nicht nur mir, sondern auch der Natur und den Tieren etwas gutes zu tun.

Dann, nach circa einem Monat, oder vielleicht waren es auch 6 Wochen, wartete ich wie immer auf das Einsetzen meiner Tage. Sie waren in den letzten Jahren immer innerhalb weniger Tage gekommen, mal nach 29, mal schon nach 28 Tagen. Aber dieses Mal wartete ich, und wartete. Jedes kleines Bauchgrummeln wurde zur Kenntnis genommen, aber schließlich dauerte es ganze 6 Wochen und einen negativen Schwangerschaftstest, bis ich meine Periode begrüßen durfte.

Woran lag es? Ich hatte weder mehr Stress als sonst (im Gegenteil, mein Leben war recht entspannt), noch hatte ich irgendwelche körperlichen Mangelerscheinungen und auch meinem Blut fehlte nichts.
Warum also diese Ausnahmeerscheinung? Die einzige Veränderung, die sich in meinem Leben ereignet hatte, war meine Ernährungsumstellung.

Also machte ich mich auf die Suche nach einer möglichen Ursache, und tatsächlich: ein zu hoher Sojakonsum kann zu Veränderungen des Östrogenhaushalts führen. Also ist die verschobene Regel tatsächlich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf meinen scheinbar zu hohen Sojakonsum zurückzuführen. Ich wusste ja voher, dass in Soja sogenannte Phytoöstrogene enthalten sind, aber ihre Wirkung hatte ich vollkommen unterschätzt.

Neben der verspäteten Regel nahm ich außerdem einige Kilos zu, so dass mir (nach dieser kurzen Zeit!) beispielsweise meine Lieblingsjeans einfach nicht mehr passte. In Zusammenhang mit der hormonellen Wirkung des Sojas wird ein Schuh daraus, denn ich hatte nichts geändert, ich trieb nach wie vor Sport und war aktiv wie immer.

Mein Fazit? Soja ist in normalen Mengen kein gesundes Lebensmittel, vor allem nicht für Frauen, die auf ihr Gewicht achten möchten und ein gesundes Verhältnis zu ihrem Körper aufbauen wollen. Es ist außerdem völlig ungeeignet für Menschen, die aus der Bulimie aussteigen wollen, da sie durch den Sojakonsum trotz einer angemessenen Kalorienzufuhr zunehmen können. Die Wahrscheinlichkeit einer Gewichtszunahme ist nicht zu unterschätzen, weil die hormonelle Wirkung durch das Soja nicht willentlich gesteuert werden kann. Sobald also Soja in einer gewissen Menge konsumiert wird, hat es eine ähnliche Wirkung wie beispielsweise die Pille, die ebenfalls zur Gewichtszunahme beitragen kann.

Seitdem vermeide ich den Konsum von Soja wo ich nur kann, und bin von der Soja- auf Hafermilch umgestiegen. Sie schmeckt mir gut, und dass sie nicht aufgeschäumt werden kann, darüber sehe ich großzügig hinweg. Alle anderen Fleischersatzprodukte und den Tofu lasse ich weg, und als Aufstrich kommen anstatt der Hefe-/Sojaaufstriche aus den Dosen jetzt die kleinen Gläschen auf den Tisch, die mit Sonnenblumen als Grundlage hergestellt werden.

Es gibt noch weitere interessante gesundheitliche Nachteile von Soja, die ihr alle hier nachlesen könnt.

Mittwoch, 17. April 2013

Riskanter Ersatz: Lebensmittelfotos ansehen

Vielleicht kennt ihr es auch: um sich vom (übermäßigen) Essen abzuhalten, sieht man sich im Internet Fotos von Lebensmitteln an. Von saftigen Schokoladenkuchen, knusprigen Keksen, dick mit Käse belegten Pizzen, von süßen Pralinen und cremiger Eiscreme.

Aber diese scheinbare Bewältigungsstrategie ist keine, denn früher oder später kann auch sie den Essanfall auslösen. Durch die Beschäftigung mit Essen und der Vorstellung, die Nahrungsmittel auf den Bildern tatsächlich zu essen, werden Mechanismen in Gang gesetzt, die ein Hungergefühl auslösen. Dies geschieht durch die Ausschüttung des Hormons Ghrelin, das ein Hungergefühl bewirkt.

Belegt hat dies nun ein Forschungsteam in München. Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München untersuchte 50 männliche Probanden, die vorher gegessen hatten und rein körperlich betrachtet eigentlich keinen Hunger haben konnten. Ihnen wurden Fotos von Wiener Schnitzeln, Schokoladenkuchen und Eiscreme gezeigt. Anschließend wurde ihr Ghrelinspiegel im Blut gemessen. Es zeigte sich, dass dieser signifikant gestiegen war.

Man solle sich also keine appetitlichen Speisen ansehen, wenn man auf sein Gewicht achtet, so das Fazit der Forscher. Denn schon allein der Anblick von leckeren Speisen könne Appetit auslösen.

Aber mal unter uns: Wer wusste das nicht schon vorher?


Hier der Link zum Artikel auf ORF.

Samstag, 13. April 2013

Weiß ein Bulimiker nicht, dass er zuviel essen wird?

Gibt es einen klassischen Verlauf eines Essanfalls?

Meist hört man generell von großen Mengen, die in kurzer Zeit verschlungen werden, und dass die Betroffenen schon auf dem Nachhauseweg scheinbar wie ferngesteuert Nahrung in sich hineinstopfen. Sobald sie von ihrem Einkaufsfeldzug zuhause angekommen sind, lassen sie sich auf den Boden sinken, verteilen die Lebensmittel um sich herum, verwenden weder Geschirr noch Besteck, und verabschieden sich vollständig in eine Art Paralleluniversum.

Danach, so ist der Tenor vieler Darstellungen, bereuen sie, zuviel gegessen zu haben und wollen es rückgängig machen. Das klingt so, als wüssten sie vorher nicht, dass sie zuviel essen würden. Insbesondere diese Darstellung des "Bereuens" taucht in den gängigen Beschreibungen immer wieder auf, und ich frage mich, woher sie wohl stammen? Das deckt sich in keiner Weise mit den zahlreichen Schilderungen, die ich, seit ich diesen Blog betreibe, von Betroffenen erhalten habe.

Auch der Part "kurzer Zeitraum" entspricht nicht immer den Gegebenheiten. Eine Episode kann sich durchaus auch mal über einen ganzen Tag, eine ganze Nacht oder mehrere Tage erstrecken.

Menschen, die an Bulimie erkrankt sind, sind keine willenlosen Wesen, die nur auf Impulse reagieren. Sie lassen sich genauso wenig in ein Schema pressen wie alle anderen Menschen dieser Welt.

Mittwoch, 10. April 2013

Research Review: Reduzierte Schmerzempfindlichkeit bei Bulimikern

In der u.g. Studie aus dem Jahr 1991 wurde die Schmerzempfindlichkeit von 20 Bulimikern und 21 Anorektikern untersucht und mit Kontrollgruppen verglichen. Es stellte sich heraus, dass die erkrankten Gruppen ein verringertes Empfindlichkeitslevel aufwiesen, das allerdings unterschiedliche Ursachen hatte. Die Ergebnisse überraschen insofern, als beide Gruppen erhöhte Ängstlichkeit zeigten, die beim Gesunden herkömmlicherweise schmerzverstärkend wirkt.
Die Ursachen der reduzierten SE konnten nicht eindeutig geklärt werden. Bulimiker mit einer Veranlagung für Übergewicht wiesen jedoch eine generell niedrige Empfindlichkeit auf. Auch bei Adipositas ist dieser Zusammenhang zwischen erhöhtem Körpergewicht und einer niedrigen SE bekannt. Bei den Anorektikern hingegen scheint der Grund der niedrigen SE in ihrer gestörten Regulation der Körpertemperatur zu liegen.

Lautenbacher, S. et. al.: Pain Sensitivity in Anorexia Nervosa and Bulimia Nervosa. In: Biological Psychiatry, Volume 29, Issue 11, 1. Juni 1991, Pages 1073-1078.

Samstag, 6. April 2013

Update: Eating Guidelines

Ich habe aufgrund der Nachfragen die Guidelines von Geneen Roth nochmal "rezensiert" und hoffe, ihr könnt nun mehr damit anfangen als ohne Anmerkungen. Sie waren schon recht trocken ;)

Seltsame Essgewohnheiten?

In der Übergangszeit zwischen gestörtem und völlig normalem Essverhalten gibt es ein Essverhalten, das noch nicht als ganz normal und auch nicht unbedingt als gesellschaftsverträglich bezeichnet werden kann. Ich verallgemeinere hier meine eigene Erfahrung und die Erfahrungen anderer, von deren Geschichten ich persönlich, durch den Austausch in Foren oder per Email erfahren habe.

Zwischen bulimischem Essverhalten mit Essanfällen und Erbrechen und einem völlig gesunden Essverhalten liegt eine Zeit, in der man weder richtig gesund noch wirklich gestört isst. Es gibt etliche ehemals Betroffene, die zwar ihre Essanfälle in den Griff bekommen haben aber sich trotzdem nicht so fühlen, als würden sie normal essen.

Das ist völlig okay. Niemand sollte sich selbst deshalb Vorwürfe machen oder, noch schlimmer, sich von anderen Vorwürfe machen lassen. Denn alles ist besser als weiterhin Essanfälle zu haben. Alles, was dazu führt, dass Essanfälle verhindert werden, führt dazu, den Betroffenen näher an seine Gefühlswelt heranzubringen. So kann er sich besser kennenlernen und sein Leben aktiv gestalten, anstatt sich von äußeren Umständen mitreißen zu lassen.

Um den Kern dessen, was ich hier beschreiben möchte, besser zu veranschaulichen, möchte ich euch einen Teil meiner eigenen Geschichte hierzu erzählen. Ich habe sehr lange Zeit das Frühstück als fast heilige Mahlzeit betrachtet, und habe auch große Mengen gefrühstückt. 3 Brötchen waren normal, oder 1 großes Brötchen (Seele) und ein süßes Stückchen. Und das jeden Tag, nicht nur am Wochenende. Die nächste Mahlzeit fand dann allerdings meist erst wieder gegen abends statt, da ich  mir angewöhnen wollte, wieder richtigen Hunger zu spüren. Normalerweise würden 4-5 Stunden dazu ausreichen, aber da ich auch keinen Sport gemacht habe, hatte ich schon Angst wegen der Kalorien. Ich wollte nicht mehr als 2000kcal essen. Abends habe ich dann wieder "ganz normal" gegessen, also auch eine ganze Pizza etc. Mein Gewicht konnte ich so gut halten, und ich konnte mich auch endlich in meinem Körper wohlfühlen.

Also, was ich damit sagen will: falls ihr, auch vielleicht schon längere Zeit, keine bulimischen Symptome habt, und euch euer Essverhalten trotzdem seltsam erscheint, gebt die Hoffnung nicht auf, dass es irgendwann wirklich wieder normal wird. Auch wenn ihr nur zweimal am Tag esst und vielleicht auch immer dasselbe. Das pendelt sich ein.

Ihr könnt euch selbst bei diesem Prozess unterstützen, indem ihr z.B. des öfteren ungewohnte Lebensmittel probiert, exotische Früchte oder Speisen, die ihr nur vom Hörensagen kennt. Denn ihr könnt nur Appetit auf etwas haben, das ihr schon mal gegessen habt. So kann euch euer Körper auch viel leichter sagen, was er braucht.

Irgendwann wird es tatsächlich so sein, dass ihr euch um das Essen fast keine Gedanken mehr machen müsst, und dass es ganz einfach ein Tagesordnungspunkt ist wie jeder andere. Essen kann dann trotzdem Genuss sein, und es wird super viel Spaß machen, wieder zusammen mit anderen zu essen, um Essen als verbindendes Element zu nutzen.


Montag, 1. April 2013

Interview mit Anna

Die letzten beiden Montage gab es die beiden ersten Interviews, hier kommt nun das letzte in dieser Reihe. Dieses Mal gab mir Anna Einblick in ihre Geschichte mit der Bulimie:


Inwiefern hast du mit Essstörungen zu tun- seit wann bist du betroffen? 
Ich habe seid 5 Jahren eine Essstörung, genau benennen kann ich sie nicht. Würde sagen eine Mischform, hatte aber in den ganzen Jahren verschiedene Phasen. Also Bulimie ohne brechen eine Zeit, dann Bulimie mit übergeben, paar Monate Binge Eating und jetzt seit 2 Jahren eine Mischform Magersucht und Bulimie.

Was denkst du, steckt hinter deinem Essverhalten? 
Ich denke immer noch, der Wunsch ein Gewicht zu halten, was mir persönlich gefällt, auch wenn es nicht gesund ist.

Wie würdest du einem Fremden beschreiben, warum du dich so verhältst? 
Einem Fremden beschreibe ich es oft so, dass ich eine Diät anfangen wollte und irgendwann mitten drin in der Essstörung war. Zuerst hat es mich psychisch nicht belastet, wieso auch- ich habe ja nur eine Diät gemacht, nur irgendwann hatte ich es nicht mehr unter Kontrolle. Das Thema Kalorien, nichts essen, zu viel essen, zunehmen hat mein ganzes Leben so eingenommen, dass ich meine Freunde verloren habe, mich total isoliert habe, an nichts mehr Spaß hatte. Jeden morgen das wiegen. Die Zahl auf der Waage bestimmt, ob der Tag gut ist oder schon gelaufen. Ich kann nicht einfach wie früher essen ohne danach nicht dauernd daran zu denken. Es ist einfach eine Sucht. Ich kann einfach nicht anders, ich würde gerne meinen Kopf ausschalten und diese ganzen Gedanken löschen. Es dreht sich alles ums Essen, dass würde ich gerne ändern.

Was hindert dich daran, "normal" zu essen? 
Daran hindert mich keiner. Ich esse relativ viel also normal 1500Kalorien und halte damit mein Untergewicht ohne zuzunehmen, aber selbst dann fällt es mir oft schwer mich nach dem essen nicht zu übergeben, weil ich immer Angst habe ich könnte doch zunehmen. Und das ist auch der Grund, wieso ich Angst habe mehr zu essen weil ich Angst habe zuzunehmen. Das Essen essen ist leicht, Mund auf Essen rein aber die Gefühle danach aushalten- das ist das schwere. Ich fühle dann so eine große Angst ich kann es gar nicht beschreiben. Es hört sich krank an und das ist es auch.

Was würdest du machen, wenn du morgen aufwachen würdest und du könntest auf einmal ganz normal essen? Was würde sich in deinem Leben verändern? 

Ich weiß nicht was sich verändern würde. Ich wünsche mir oft es ist wie früher. Das schlimme ist ja nicht das Essen, ich esse gerne nur diese Gedanken. Und die gehen nicht weg auch wenn ich sozusagen normal essen würde, was auch immer normal heutzutage ist. Ich wünschte mir essen einfach wie früher als eine normale Sache anzusehen, man isst halt ohne sich danach großartig Gedanken darüber zu machen. Essen gehört eigentlich zum Leben dazu, aber bestimmt nicht das Leben.

Eine Essstörung betrifft ja nicht nur das Essen. Welche Dinge machst du nicht wegen der Essstörung? Bzw. anders gefragt: welche Dinge würdest du machen können, deiner Meinung nach, wenn du normal essen würdest?

Ich bin unspontan, kann nicht einfach mal mit Leuten essen gehen. Bin sehr zurück gezogen und sehr sensibel und unsicher geworden. Früher war ich Selbstbewusst, das habe ich ganz verloren durch die Essstörung. Ich muss aber sagen das ich trotz Untergewicht und der längeren Zeit der Essstörung körperlich fast nie Beschwerden habe und mich auch nicht schwach fühle. Also so körperlich kann ich nach wie vor alles machen, wie auch vor der Essstörung.
 
Hattest du konkret aufgrund des Essverhaltens schon einmal Angst um dein Leben? Was ist genau passiert? 
Ich hatte schon mehr mal das Gefühl wenn ich abends im Bett lag zu sterben, weil ich sehr schwach war und Herzrasen hatte und ich dachte mein Körper macht schlapp. Aber wie gesagt das war in den ganzen Jahren eher selten.

Was würdest du jemandem sagen, der gerade dabei ist, in eine Essstörung abzurutschen, aber noch umkehren kann? 
Ich würde ihm sagen das wenn man abnehmen will, eine Ernährungsumstellung und Sport machen sollte. Dass, wenn man erstmals in der Essstörung ist, es nie wieder wie früher sein wird. Ich bin der Meinung, ich werde irgendwann mit der Essstörung leben können, aber einmal essgestört immer essgestört, und frei wie früher essen und auch leben werde ich nie wieder können. Also würde ich jedem das so erzählen, und dass die meisten auch Depressionen haben- und gerade psychisch geht es fast jedem schlecht und das wegen paar Kilos, die die meisten am Anfang abnehmen wollen- ist es das wert? Mit Sicherheit nicht.

Vielen Dank, Anna. Ich glaube auch, dass du es aus der Essstörung schaffst! Hab Vertrauen in dich ;)

Samstag, 30. März 2013

Eating Guidelines von Geneen Roth

1. Iss nur dann, wenn du wirklich hungrig bist. 
Höre auf deinen Körper, denn er wird dir sagen, wann es Zeit zum Essen ist. Dann gilt es, genug zu essen. Hunger ist ein Überlebensmechanismus. Dein Körper wird dir früher oder später mitteilen, wenn er Nahrung benötigt. Die meisten Leute essen nicht dann, wenn sie hungrig sind, sondern weil es gerade Frühstücks-, Mittagessens- oder Abendessenszeit ist, weil jemand Geburtstag hat, sie etwas feiern wollen, sie wütend oder traurig sind und aufgrund vieler anderer Gründe, aber nicht, weil sie wirklich hungrig sind. Iss nur dann, wenn du wirklich hungrig bist.

> aus 1. folgt: Lass genügend Zeit zwischen den Mahlzeiten
Wie findest du also heraus, ob du wirklich hungrig bist und nicht nur Appetit auf etwas hast? Wenn du kurz nacheinander isst (und das habe ich auch schon in diesem Artikel erwähnt), wirst du nicht wirklich hungrig sein, weil der Magen noch von der letzten Mahlzeit voll ist. Dann ist es schwierig, zwischen Hunger und Appetit zu unterscheiden. Appetit ist nicht mit Hunger gleichzusetzen. Optimal ist ein Abstand von mindestens 4 Stunden. Wie kann man also feststellen, ob man wirklich hungrig ist? Geneen Roth rät dazu, sich, bevor man anfängt zu essen (oder einkaufen zu gehen), sich eine oder zwei Minuten Zeit zu nehmen. Und dann auf einer Skala von 1 bis 10 den eigenen "Hunger" einschätzt. 1 wäre "sterbenshungrig" und 10 "vollgestopft". Zwischen 5 und 10 ist der Körper nicht hungrig, zwischen 1 und 4 ist der Körper hungrig und braucht Nahrung, nur dann sollte man essen.
An dieser Guideline habe ich mich damals auch (unbewusst, da ich sie gar nicht kannte) orientiert und kann sie euch daher auch wirklich empfehlen. Vor allem der bulimische Magen hat völlig verlernt, Essen anständig zu verdauen und braucht daher vermutlich (das Gefühl hatte ich damals immer) länger, um den Mageninhalt zu verarbeiten. Wichtig, um Hunger zu spüren, ist es aber, dass der Magen wirklich leer ist. Daher sind 4-5 Stunden zwischen den Mahlzeit ein guter Tipp, um das Hungergefühl wieder aufkommen zu lassen. In einer Amazon-Rezension zu Geneen Roth´s Buch schreibt eine Leserin, dass sie die Methode gleich am ersten Tag nach dem Lesen ausprobiert hat. Sie wollte schließlich erst um 14 Uhr etwas essen, und das war geschlagene Sahne mit flüssiger Schokolade. Indem sie die Guidelines befolgt hat, hat sie sogar Gewicht verloren und ein völlig entspanntes Verhältnis zum Essen entwickelt.

2. Setz dich zum Essen hin und sei in einer ruhigen Umgebung. 
Iss also nicht im Gehen oder im Auto. Warum nicht? Wenn man gleichzeitig etwas anderes macht, kann man sich nicht aufs Essen konzentrieren. Essen mit Genuss soll ja wieder gelernt werden. Genussvoll kann Essen aber nur sein, wenn man seine Aufmerksamkeit auf das Essen richtet.
Diese Guideline geht mit Nr. 3 und auch teilweise 4. einher: alleine und ohne Ablenkungen zu essen hilft dabei, den Fokus vollkommen auf das Essen zu richten. Ich halte es für praktikabel, wie weiter unten unter Nr. 4 beschrieben, einmal am Tag alleine zu essen. Das ist auch dann machbar, wenn man noch zuhause wohnt, tagsüber mit Kollegen essen geht oder abends auswärts isst. Wenn man sich mit dem Essen wieder sicherer fühlt, kann man das auch wieder ausweiten. Die Guidelines sind ohnehin nicht dazu gedacht, für den Rest des Lebens angewandt zu werden, sondern bieten vielmehr eine Unterstützung auf dem Weg der Heilung; aber auch eine gute Orientierung für die Zeit, wenn man schon längst wieder gesund ist.

3. Iss ohne "Störungen"
Störungen sind z.B. Unterhaltungen, die dir ein schlechtes Gefühl vermitteln, oder aber auch Musik, die nervös macht oder dich stört.

> 2. und 3. beinhalten eigentlich dasselbe, nämlich: sich die Zeit und das Privileg zu gönnen, sich wirklich auf das Essen zu fokussieren. Sei so nett zu dir und zoll dir selbst den Respekt, auch wenn es nur 5 Minuten sind. Oft schieben wir jedoch die Geschäftigkeit und den Stress als scheinbaren Grund vor, dass wir uns diese Zeit nicht nehmen. Man sollte sich aber schon fragen, wieviel man sich selbst wert ist, denn dann sind diese 5 Minuten immer drin, in denen man sich auf sich selbst konzentrieren und mit sich allein sein und sich etwas Gutes gönnen kann.
Diese Guideline überschneidet sich wieder stark mit Nr. 2- iss in einer ruhigen Umgebung; das beinhaltet äußere Ruhe. Ich möchte die Guideline ergänzen: kümmer dich auch um innere Ruhe. Lass nicht zu, dass dich aufwühlende Gedanken während des Essens stören. Das hinzubekommen, ist wieder leichter gesagt als getan. Aber du kannst vor dem Essen kurz innehalten, auch wenn das bedeutet, dass du ein, zwei Minuten auf die Toilette gehst und kurz überlegst, was dich so zur Weißglut bringt. Dann schreib es auf und klapp das Buch zu. Nimm dir vor, dir eine halbe Stunde selbst die Ruhe zu gönnen. Um die Angelegenheit kannst du dich nach dem Essen kümmern. Wenn du mit anderen beim Essen bist und sie über etwas sprechen, das dich stört, dann sprich ruhig an, dass solche Diskussionen nach dem Essen geführt werden können. Das Essen ist schließlich nicht dazu da, um Streitgespräche zu führen! Wie in 2. ist es auch hier nicht immer möglich, ganz ohne Geräuschkulisse zu essen. Aber wenigstens einmal am Tag kannst du dafür sorgen, während des Essens deine Ruhe zu haben. Du wirst dich vielleicht fragen, warum nur einmal am Tag, aber auch hier ist es wie so oft: die Übung macht den Meister.... Je öfter du dich auf dein Essen konzentrieren kannst, desto besser wird dein Verhältnis zu ihm werden.

4. Iss das, wonach dein Körper verlangt.
Hier werden Geneen anscheinend die meisten Vorwürfe gemacht, weil die Leute sich nicht vorstellen können, was dieser Punkt genau bedeutet. Die Leute glauben, sie hätten bisher doch schon immer das gegessen, was sie wollten und dass genau das sie in die Essstörung gebracht hätte.
Aber wirklich das zu essen, was der Körper will, bedeutet etwas anderes. Denn dann isst man nicht mehr das, was der Kopf sich ausdenkt. Wenn man nicht genau weiß, was der Körper braucht und worauf man Lust hat, soll man die Augen für 30 Sekunden schließen und warten, welche Lebensmittel dann auftauchen.
Diese Guideline halte ich für die schwierigste. Doch anfangs kann es völlig ausreichen, das nicht zu essen, was man nicht essen will. Das bedeutet, dass man keinen Apfel ist, wenn man ein Käsebrot will. Man isst den Apfel eben deshalb nicht, weil er gesünder ist und weniger Kalorien hat, sondern man isst das Käsebrot, weil man Lust darauf hat und die Lust darauf nicht weggeht, wenn man den Apfel isst. Teilweise halte ich diese Guideline für sinnvoll, aus dem eben genannten Grund, teilweise aber auch für sehr riskant. Denn wenn mir damals jemand gesagt hätte: "iss das, was du wirklich willst", hätte ich vermutlich Lust auf all diejenigen Lebensmittel gehabt, die ich während meiner FAs immer gegessen habe: Schokoladenkuchen, Lasagne, Fruchtjoghurts, und und und. Daher ist diese Guideline für sich genommen keine Hilfe. Es kann allerdings sehr helfen, vorerst eine Unterscheidung zwischen süß / salzig und warm / kalt zu treffen. Dann kann man sich fragen: Welche Konsistenz hat es? Ist es hart oder eher weich, welches Geräusch macht es beim Kauen? Wird es gekaut oder eher geschluckt? Will ich es zusammen mit etwas anderem essen? Hat es spezielle Gewürze oder riecht es besonders? All das hat mir in der Vergangenheit auch geholfen. 

5. Iss solange, bis du zufrieden bist und keine Lust mehr hast, weiterzuessen. 
Zufrieden und satt zu sein bedeutet nicht, vollgestopft zu sein. Man muss sich nicht vollstopfen, um satt sein zu können. Satt ist man also dann, wenn man einfach keine Lust mehr auf einen weiteren Bissen hat und nicht dann, wenn man keinen Bissen mehr herunterbekommt, weil man das Gefühl hat, sonst platzen zu müssen. Es wird schwerfallen, diesen Unterschied zu bemerken, wenn man nebenbei andere Sachen macht, wie z.B. fernsehen, lesen oder eine Unterhaltung zu führen (Anm.: jeden falls nicht zu Beginn, ich würde schätzen, dass man das nach einigen Wochen / Monaten auch wieder gelernt haben kann und so bewusst ist, dass man den Unterschied auch dann merkt, wenn man mit anderen Leuten gemeinsam isst). Mindestens einmal täglich sollte man laut Geneen Roth alleine essen, um sich komplett auf das Essen konzentrieren zu können. Es geht hier um die Übung, sich diesen Umgang mit dem Essen wieder anzueignen und die Signale des Körpers zu verstehen. Auf der Hungerskala (s.o.) wäre "satt" zwischen 4 und 5. Über einem Wert von 5, so Roth, fühlt man sich bereits voll und hat mehr gegessen, als der Körper braucht.
Zu Beginn kann es sein, dass man eher mehr essen muss, um sich satt zu fühlen. Das hat auch mit dem durch die großen Mengen ausgedehnten Magen zu tun, der sich erst wieder zurückbilden muss. Bitte mach dir dann keine Vorwürfe, wenn du das Gefühl hast, zuviel zu essen, und Angst hast, dass das für immer so bleibt- tut es nicht!

6. Iss dort, wo du in Sichtweise anderer Menschen bist 
Dieser Punkt bewirkt, dass man sich selbst respektiert und seinen Hunger anerkennt. Die Annahme vieler Essgestörten ist: wenn andere mich sehen könnten, während ich esse und diesen unstillbaren Hunger nach Essen in mir stille, würden sie mich nicht mehr mögen. Dort zu essen, dass man für andere sichtbar ist / sein könnte, kann bewirken, dass man sich selbst akzeptiert und seinen Hunger als gegeben annimmt und ihn nicht mehr verheimlicht. Man sagt sich selbst, dass es okay ist, dies und das zu essen.
Zunächst hielt ich diese Guideline für etwas paradox in Hinblick auf 2. und 3., da viele Essgestörte generell ein Problem mit dem Essen in der Öffentlichkeit haben und vorher zum Essen in ruhiger Umgebung geraten wird. Sinnvoll kann es dennoch sein, sich z.B. einmal in der Woche auf einem Markt etwas zu kaufen und dort zu essen oder in ein Restaurant essen zu gehen. Dann kann man das öffentliche Essen auch gleich damit kombinieren, mal etwas neues auszuprobieren. Ich glaube schon, dass Essen "draußen" dazu beiträgt, dem Essen die Schwere zu nehmen. 

7. Iss mit Freude und Genuss
Bring die Freude und den Genuss zurück zum Essen. Essen soll mit Genuss und nicht mit Schuldgefühlen verbunden sein. Erlaube dir, das Essen zu genießen.
Das ist ein Tipp, an dem ich absolut nichts auszusetzen habe. Ich selbst hatte den Genuss am Essen ziemlich schnell wieder gefunden, da ich mir schnell wieder die Sachen gekauft hatte, die mir gemundet haben. Sobald ich heute Zeit habe, zelebriere ich mein Essen. Ich habe eine Lieblingstasse und einen Lieblingsteller, dazu Besteck, das sich gut in der Hand anfühlt. All das trägt dazu bei, dass ich mein Essen genießen kann, und vielleicht hilft es auch, dass ich keine Billiglebensmittel mehr kaufe, sondern hauptsächlich bio. Ich tue mir mit dem Essen etwas Gutes- das ist die Botschaft, die ich mir mit dem Essen vermittle.

Geneen Roth bezeichnet diese Guidelines nicht als Regeln, sondern als Anleitungen der "Liebe" selbst. Die Liebe würde sagen, "setz dich in Ruhe hin und genieß das Essen. Fühl dich gut beim Essen."
Geneen Roth hat über das Verhältnis von Frauen zum Essen mehrere Bücher verfasst, u.a. "Essen als Ersatz" oder "Essen ist nicht das Problem":


Weitere Bücher findet ihr hier

Ein kleines Video über diese Guidelines findet ihr auch hier.

Mittwoch, 27. März 2013

Research Review: das transtheoretische Modell zur Behandlung von ED

Ziel der Studie: 
Warum sind so viele bulimische Patienten nicht motiviert, eine Therapie zu machen und an ihrem Verhalten etwas zu ändern?
Diese Studie hat Änderungsphasen bei Patienten untersucht und analysiert, welche Zusammenhänge zwischen klinischem Befund und den Behandlungsfortschritten mithilfe des Transtheoretischen Modells nach Prochaska bestanden. Von insgesamt 88 Patienten wurden 32 Bulimiker untersucht, 29 waren an Anorexie und weitere 27, die an Ednos (Eating disorder not otherwise specified) erkrankt waren.

Methoden: 
Zu Beginn der Studie wurde die Bereitschaft der Patienten zur Verhaltensänderung anhand einer Selbsteinschätzungs-Skala bewertet.
Die Therapeuten präsentierten den Patienten in 4 Sitzungen insgesamt 8 verschiedene Methoden, die diese zuhause anwenden sollten und gaben später ihre Einschätzung dazu ab, in welchem Maße diese Methoden von den Patienten umgesetzt worden waren.

Ergebnisse: 
Die größte Motivation war immer dann vorhanden, wenn sich der Patient eigenverantwortlich für eine Therapiemethode entschieden hatte.
Langfristige positive Veränderungen wurden erzielt, wenn der Patient emotional involviert war, wenn ihm spezifische Prozesse der Verhaltensänderung bekannt waren und wenn er eine langfristige Therapie anstrebte.
Es ist also wichtig, dass Therapeuten Rückmeldung über den Stand des Therapiefortschritts geben, insb. auf welcher Stufe (hier: des Transtheoretischen Modells) sich der Patient befindet, um Reflexion über das Geleistete und noch zu Leistende zu geben. 

Was ist das Transtheoretische Modell und was hat es mit Bulimie zu tun?


Hasler, G. et al.: Application of Prochaska´s transtheoretical model of change to patients with eating disorders, Journal of Psychosomatic Research, Zürich 2003.

Montag, 25. März 2013

Interview mit Theresa

An dieser Stelle nun das zweite Interview / der zweite Fragebogen von Seiten einer Leserin. 
Heute ist es Theresa:

Inwiefern hast du mit Essstörungen zu tun- seit wann bist du betroffen?
Habe seit 6 Jahren bewusst Essstörungen - erst Magersucht mit 16, hab mich von 72kg bei 177cm auf 47kg runtergehungert und extrem Sport getrieben. Das wäre auch noch weiter runtergegangen, wenn ich den Wunsch gehabt hätte, zur Polizeit zu gehen. Dafür braucht man einen BMI von mindestens 18. Habe dann etrem angefangen zu "fressen" und es hat sich die Bulimie entwickelt. Erst waren es nur Fressanfälle, dann habe ich angefangen, sie mit Hunger, dann mit Sport und später auch mit Erbrechen zu kompensieren. Beim Erbrechen bin ich hängengeblieben. Da war ich 20 - heute bin ich 22. Denke aber, dass ich vorher schon anfällig war, denn ich wollte immer schlank sein und nichts essen, aber meine Mutter hat mich so kontrolliert, dass ich immer viel esse, dass ich mich nicht getraut habe, zu hungern...mit 16 war ich im Krankenhaus mit einem Magenproblem, dann hab ich angefangen zu erzählen, dass der Arzt will, dass ich nur noch fettarm esse und nichts süßes mehr. Mit 17 bin ich ausgezogen. Meine Mutter hatte dann keine Kontrolle mehr und ich konnte endlich "schlank" werden.
Da ich zwischenzeitlich 2 mal in der Klinik war, hat sich mein Essverhalten gebessert, jedoch habe ich immer noch regelmäßig Fressanfälle, wenn Probleme auftreten. Das sind zwischen 4 und 7mal die Woche.

Was denkst du, steckt hinter deinem Essverhalten?
Meine Mutter. Ich wollte nie so aussehen wie sie, fand sie immer fett und aufgequollen, obwohl sie Normalgewicht hat. Später habe ich herausgefunden, dass sie auch Bulimie hat. Sie hat mein Leben lang versucht micht zu füttern und mir mehr zu geben, als sie gegessen hat. Wenn ich einmal nicht aufgegessen habe, hat sie Anspielungen gemacht, ob ich eine Essstörung hätte, obwohl mir sowas damals noch gar nicht in den Sinn gekommen wäre. Außerdem war da der Kontrollgedanke...ich musste irgendwie mein Leben kontrollieren, als ich mit 17 ausgezogen bin, bin ich zu meinem damaligen Freund gezogen, da hat sich wieder eine Abhängigkeit aufgebaut, aus der ich so schnell nicht rauskonnte.
Seit ich denken kann, fühle ich mich zu fett...Essen war immer mein Tröster, und dann wurde es zu meinem Feind. Wenn es als Kind Belohnungen gab für gute Noten etc, dann immer nur in Form von Essen. Meine Mutter hat mich früh vergiftet....

Wie würdest du einem Fremden beschreiben, warum du dich so verhältst? 
Ich würde sagen, dass es wie eine Sucht ist. Ein Alkoholiker braucht Alkohol, ich brauche Junkfood. Süßigkeiten, Fast Food, Chips, Kuchen...alles mit vielen Kalorien, was der Seele guttut. Und weil ich so eine Angst vor dem zunehmen habe, wird das ganze dann wieder erbrochen.

Was hindert dich daran, "normal" zu essen?
Meine Gier...meine Schwäche....und mir fehlt die "Ersatzdroge"...und eine Unausgeglichenheit, die Unzufriedenheit mit mir und meinem Leben. Konflikte aus der Vergangenheit, die ich noch nicht bewältigt habe, zb der Nichtkontakt zu meiner Mutter im Moment. Eine große innere Leere, ich bin mit freier Zeit oft überfordert und weiß nicht, was ich tun soll, außer zu essen, und dann wieder zu erbrechen.

Was würdest du machen, wenn du morgen aufwachen würdest und du könntest auf einmal ganz normal essen? Was würde sich in deinem Leben verändern?
Ja, vieles würde sich verändern. Ich würde rausgehen und mir die Welt anschauen, weil ich Dinge genießen könnte, ohne die ganze Zeit an Essen zu denken. Das ständige Denken an Essen beeinflusst mich in meinem gesamten Tun, ich kann kaum noch was genißen, weil ich immer an die nächste Mahlzeit oder Fessanfall denken muss, ohne einfach mal Essen als das zu sehen was es ist: Energiebringer und evtl. noch Genußmittel. Ich wäre selbstbewusster und hätte mehr Kraft die Dinge zu verwirklichen, die mir wirklich wichtig sind.

Eine Essstörung betrifft ja nicht nur das Essen. Welche Dinge machst du nicht wegen der Essstörung? Bzw. anders gefragt: welche Dinge würdest du machen können, deiner Meinung nach, wenn du normal essen würdest?
Meine Freundschaften besser pflegen - es wäre nicht mehr alles von essen abhängig. Ich könnte spontan einladungen annehmen, etwas zusammen zu kochen oder mir auch einfach mal nen Kaffee und nen gutes Stück Kuchen in der Stadt gönnen. Sport würde ich nicht mehr machen, um abzunehmen, sondern weil es meinem Körper wirklich guttut. Also auch nicht übermäßig. Beziehungen zu Freunden und Familie würden sich allgemein verbessern, ich hätte keine Panik mehr vor Geburtstagen und Feiertagen, weil ich ganz normal am Buffet/Kuchen usw teilnehmen könnte und mit den Leuten Kontake pflegen kann.

Hattest du konkret aufgrund des Essverhaltens schon einmal Angst um dein Leben? Was ist genau passiert?
Ich hatte in der Zeit meiner Magersucht Angst, bald ganz kraftlos zu sein, und nichts mehr machen zu können. Mein Herz ist gerast und mein Puls war extrem niedrig, ic h hatte Angst bleibende Schäden davonzutragen. Meine Regel ist sehr lange ausgelieben - ich hatte Angst, keine Kinder mehr bekommen zu können und das habe ich auch jetzt noch. Habe Angst meine Beziehung kaputtzumachen, weil ich mich fett fühle und mich nicht mehr traue, mich vor meinem Freund nackt zu zeigen.

Was würdest du jemandem sagen, der gerade dabei ist, in eine Essstörung abzurutschen, aber noch umkehren kann?
Vielleicht. Ein Mitbewohner von mir ist gerade dabei, extrem abzunehmen und sehr viel Sport zu machen. Er isst nur noch Eiweiss und ein bisschen Fett und versucht komplett auf Kohlenhydrate zu verzichten. Er hat schon viel abgenommen. Wenn es schlimmer wird würde ich mir überlegen, ihn ins Vertrauen zu ziehen und sagen, was es wirklich mit einer ES auf sich hat...Es hängt aber immer von der jeweiligen Person ab.

Was macht deiner Meinung nach eine gute Therapie aus?
Sie geht in die Tiefe, und versucht deine Ängste aufzudecken und wirklich daran zu arbeiten, was die ES ausgelöst hat. Der Therapeut sollte auch selbst nachhaken und versuchen, den Patienten aus der Reserve zu locken und ihm deutlich zu machen, dass er die Genesung wollen muss, ansonsten gibt es keine Besserung. Der Druck sollte nicht allzu hoch sein - trotzdem muss es Regeln geben, die man befolgt und einen in Situationen bringen, sein Verhalten zu überdenken. Ein Therapeut sollte verständnisvoll sein, aber auch ehrlich - immer nur liebtätschelnd in die Hand genommen zu werden, würde mir nicht helfen. Ich möchte etwas über mich und meine Vergangenheit erfahren - und über Möglichkeiten, wie ich meine Defizite in Zukunft bessern kann. Außerdem sollte die Therapie vielschichtig sein - nicht nur Gesprächstherapie, sondern auch Formen wie Kunst oder Musiktherapie, wo unbewusste Verhaltensmuster aufgedeckt werden, sollten gemacht werden, um alle Ebenen des Bewusstseins anzusprechen.

Danke, Theresa!

Samstag, 23. März 2013

Gewicht: Selbst- und Fremdwahrnehmung

"Jeder merkt mir sofort an, wenn ich zugenommen habe."

Solange außenstehende Personen kein tieferes Verständnis der Krankheit haben und man ihnen es nicht ständig auf die Nase bindet, werden sie keinen Unterschied feststellen, auch wenn das Gewicht um -/+ 5kg schwankt. Aufgefallen ist mir das erst vor kurzem bei einer nahestehenden Person (Mann), als wir über eine Dritte sprachen. Ich meinte, dass ihr Gewicht ja schon ziemlich fluktuiert, woraufhin er nur meinte, dass ihm das noch nie aufgefallen sei: "Wieso, sie sieht doch immer gleich aus." Das hat mir schon ziemlich zu denken gegeben.
Gelernt habe ich daraus, dass jemandem, dem solche Themen nicht wichtig sind, Gewichtsschwankungen nicht auffallen, und im Fall der dritten Person waren das bestimmt auch mal mehr als 5kg. 

Mittwoch, 20. März 2013

5 Schritte zum psychischen Wohlergehen

Die Anregung zu diesem Beitrag stammt von einem Video auf der Website des britischen nationalen Gesundheitsservices, dem NHS. Das NHS ist nicht exakt vergleichbar mit unserem Krankenkassensystem, da es im Gegensatz zu Deutschland öffentlich finanziert wird. Das NHS arbeitet sehr viel anwendungsbezogener und kommuniziert direkter mit den Bürgern, als man das z.B. von den deutschen Krankenkassen gewohnt ist. Werft mal einen Blick auf die vielseitigen Angebote auf der Seite www.nhs.uk/.

Aber um nicht Werbung im direkten Sinne zu machen, was mir und euch nichts bringen würde, zurück zum Thema "psychisches Wohlergehen". Das Video beschreibt 5 Schritte, die sich auf dem Weg zum psychischen Wohlergehen als wissenschaftlich wirksam erwiesen haben:

Link zum Video: klick hier



Montag, 18. März 2013

Interview mit Julia

Letztes Jahr habe ich mit einigen Betroffenen Interviews geführt. Die Fragen waren immer dieselben, da es per Email durchgeführt wurde. In den nächsten Wochen werden insgesamt 3 Interviews veröffentlicht- immer montags.
Ich freue mich sehr, heute das erste Interview mit euch teilen zu können.
Danke an dieser Stelle nochmal an alle, die teilgenommen haben!

Inwiefern hast du mit Essstörungen zu tun- seit wann bist du betroffen?
Ich bin seit fast 2 Jahren nun schon essgestört.
Anfangs war es Magersucht, nun stecke ich in so einer Mischung zwischen Bulimie und Magersucht. Ich weiß nicht wie ich das genauer beschreiben könnte. Wenn ich gerade nicht alles mögliche esse und wieder auskotze, esse ich nichts oder nur Obst und Gemüse, mehr geht schon lange nicht mehr ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Was denkst du, steckt hinter deinem Essverhalten?
Ich weiß es einfach nicht. Es könnte die Kontrolle sein, die ich in den anderen Lebensbereichen schon verloren habe, die ich darin suche. Mein Essverhalten kann ich kontrollieren, doch was will ich schon bei Streit mit Freunden oder Zoff in der Familie groß tun?

Wie würdest du einem Fremden beschreiben, warum du dich so verhältst? 
Uff das ist echt eine verdammt schwere Frage. Ich würde ihm sagen, weil ich perfekt sein will, mich gut fühlen will und dass, das in meinen Augen nur geht, wenn ich dünn bin und um dünn zu sein, muss ich das alles hier tun, aber das würde ein Fremder niemals verstehen, denn keiner denkt so wie Essgestörte.

Was hindert dich daran, "normal" zu essen?
Ganz leicht: Ich werde wieder hässlich & dick! Ich habe es schonmal versucht, weil ich ja auch in einer Klinik gewesen bin, aber als ich dort gesehen habe, dass ich in 3 Tagen schon 2 Kilo zugenommen hatte, ist eine Welt für mich zusammengebrochen. Ich werde einfach nicht normal essen können, ohne dem Hintergedanken wieder dick zu werden.
Außerdem bin ich Bulimikerin, da habe ich eh ein verdammt großes Problem mit dem Essen. Ich will einfach alles und dann auch noch in großen Mengen. Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass ich nicht normal essen kann.

Was würdest du machen, wenn du morgen aufwachen würdest und du könntest auf einmal ganz normal essen? Was würde sich in deinem Leben verändern?
Ich hätte wieder meine Lebensfreude, ich wäre einfach wieder glücklich, könnte mich wieder gut fühlen. In meiner Freizeit hätte ich mehr Zeit für Freunde, Familie und Schule, das wäre echt toll, denn zur Zeit muss ich fast jedem Absagen, weil einfach das Essen an erster Stelle steht. Es würde sich verdammt viel verändern, da die Krankheit wirklich alles in deinem Leben in den Schatten stellt.

Eine Essstörung betrifft ja nicht nur das Essen. Welche Dinge machst du nicht wegen der Essstörung? Bzw. anders gefragt: welche Dinge würdest du machen können, deiner Meinung nach, wenn du normal essen würdest?
Ich würde mich einfach nicht mehr so oft mit dem Essen beschäftigen und nicht nur Sport machen, um die Kalorien zu verbrennen bzw wenn ich mich mies fühle wegen dem zu viel Gegessenem, sondern vielleicht auch weil ich Spaß daran finde ihn dann auch gemeinsam mit Freunden zu machen. Ich würde auch bei Auslandsaustauschen mitmachen können, was ein großer Traum von mir ist. Ganz abgesehen von Urlaub oder Klassenausflügen, die längere Tage andauern.

Hattest du konkret aufgrund des Essverhaltens schon einmal Angst um dein Leben? Was ist genau passiert?
Leider habe ich das gerade fast jeden Tag, wenn ich einmal wieder meine Fressanfälle habe. Mein Körper macht das einfach nicht mehr lange mit. Nach jedem Erbrechen kann ich mich kaum noch auf den Beinen halten und einmal bin ich sogar währenddessen zusammengebrochen und saß dann erstmal auf dem Boden, weil ich mich einfach nicht mehr bewegen konnte. Oder wenn das Essen nicht mehr rauskommt, habe ich schlimme Bauchschmerzen, meine Beine tragen mich nicht mehr wirklich, mein Gesicht wird knallrot und mir ist schlecht. Doch an aufhören kann ich leider immer noch nicht denken.

Was würdest du jemandem sagen, der gerade dabei ist, in eine Essstörung abzurutschen, aber noch umkehren kann?
Er soll aufhören, sofort, den wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich alles anders machen bzw hätte ich es nicht soweit kommen lassen. Außerdem würde ich ihm erklären, wie es mir geht und was ich gerade alles durchmachen muss, siehe dafür auch letzte Frage. Wenn diese Person danach noch in eine Essstörung abrutschen will, soll sie es doch. Sie wird danach schon selber sehen was sie davon hat und sich selber dafür hassen nicht auf mich gehört zu haben.

Was macht deiner Meinung nach eine gute Therapie aus?
Dem Betroffenem soll klargemacht werden, dass Essen etwas schoenes ist und es sollte zusammen ein Essensplan erstellt werden, bei dem die Person nicht gleich 1000 Kalorien auf einmal zu sich nehmen muss, sondern in kleinen Schritten nach oben, damit der Körper sich daran gewöhnt und nicht zu viel zunimmt.
(Das wäre jetzt in meinem Fall gut, da ich noch lange nicht untergewichtig bin, aber auch nicht wieder ins Übergewicht will).
Der Person soll zugehört werden und alles Themengebiete sollten abgesprochen werden. 


Danke, Julia, für deine offenen Antworten!

Samstag, 16. März 2013

Soziale Ängste und Bulimie

Soziale Ängste treten bei vielen Bulimikern auf, wobei man zwischen "Schüchternheit" und einer handfesten Sozialen Phobie unterscheiden muss. Schüchternheit kann als Vorläufer der SP begriffen werden, Schüchterne müssen allerdings nicht derart stark durch ihr Empfinden eingeschränkt sein wie Soziale Phobiker es sind.
Beiden liegt jedoch dieselbe Angst vor negativer Bewertung durch andere zugrunde.

Die Merkmale einer SP sind laut ICD-10:
  • Unangemessen starke Angst vor einer prüfenden Betrachtung durch andere Menschen in relativ kleinen Gruppen. In Menschenmengen tritt die Angst seltener oder nicht auf.
  • Die Furcht ist auf bestimmte soziale Situationen beschränkt. Sie kann in solchen Situationen auch überwiegen.
  • Vermeidung der angstauslösenden Situationen.
  • Der Beginn liegt häufig in der Jugend. 
Ich selbst würde mich während und auch noch längere Zeit nach der Bulimie als sozialphobisch beschreiben, da ich die Interaktion mit anderen als sehr belastend empfunden und dann auch nach Möglichkeit vermieden habe. Natürlich wusste ich, dass ich mir dadurch viele Erfahrungen vorenthielt, und mich im Grunde vom Leben selbst ausschloss. Ich begab mich so in einen geschützten Raum, der keinen Anlass für besonders positive und negative Gefühle gab. So erkläre ich mir heute auch, dass ich so jung aussehe- die Jahre haben keine Spuren in meinem Gesicht hinterlassen. Ich befand mich jahrelang in einem selbstgebauten Kokon.

Durch diese Verhaltensweise wurden die Ängste von Jahr zu Jahr schlimmer, und von Jahr zu Jahr wurde es schwieriger, den Rückstand aufzuholen und mich in der Interaktion mit anderen noch normal zu fühlen. Ich hatte immer den Eindruck, man würde es mir auf den ersten Blick ansehen, dass ich ein "komischer Kauz" bin, und dass ich mich lieber woanders aufgehalten hätte als unter Menschen- egal welche es waren. Selbst die, die mir wohlgesonnen waren und mich mochten, habe ich dadurch oft vor den Kopf gestoßen. Wie geht man mit jemandem um, der meine Anwesenheit ablehnt?

Nun ist es sicherlich interessant zu erfahren, wie ich mich aus der Käseglocke befreit habe. Diesen Schritt bin ich sehr langsam und wackelig gegangen. Er hat sich wieder über mehrere Jahre hingezogen.

Geholfen hat mir zunächst eine Art stoischer Ansatz. Die Stoiker sagen, dass nichts einen Menschen verletzen kann, auf das er keinen Einfluss hat. Nun könnte man sich eine Sichtweise aneignen, die dem Urteil anderer der eigenen Person gegenüber keine Bedeutung mehr beimisst, weil man nur in begrenztem Maße Einfluss darauf hat. Wenn ich also denke, dass andere sowieso denken, was sie wollen, und es mir infolge dessen egal ist (weil ich sowieso nur in begrenztem Maße Einfluss darauf haben kann), dann verliert diese Angst an Stärke.

Geholfen hat mir auch die Erfahrung, dass der Mensch sich selbst generell sehr viel stärker kritisiert als seinen Mitmenschen. Bei anderen denkt man sich oft "es wird schon seinen Grund haben, warum er dies oder jenes macht", bei einem selbst wertet man das Verhalten schneller als Fehler.

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus glaube ich, dass jeder die soziale Phobie überwinden kann. Dabei ist es gut, sich selbst als einen Menschen zu sehen, der "auf dem Weg" ist, und sich immer nur mit sich selbst vergleicht. Selbst wenn man in gewissen Situationen noch schüchtern und gehemmt ist, kann es ein Fortschritt im Vergleich zum eigenen Verhalten in der Vergangenheit sein.

Auch gut ist es, sich Fehler zuzugestehen und, wie immer, eine eigene, ganz individuelle Persönlichkeit. Ein guter Ansatz kann sein, sich selbst nicht als "komisch" zu betrachten, sondern die eigenen scheinbaren Fehler als Teil der Persönlichkeit zu sehen. Erst die kleinen Fehler machen aus einem Menschen einen sympathischen Menschen. Es ist also sehr sehr wichtig, die vermeintlichen Fehler nicht alle ausmerzen zu wollen, sondern zu ihnen zu stehen.